Bayreuth, Festspielhaus

Ein kritischer Bericht von Paul Rauchs

Richard Wagner ist ein genialer Musiker … trotz seiner Opern und wegen seiner Musik. Nur so können wir nachvollziehen, dass sein Mäzen, König Ludwig II, und sein Verehrer, Adolf Hitler, ihm so huldigten. Sie schwärmten für die Beschwörung des deutschen Heldentums und verstanden nichts von dem Flirt mit der Atonalität, die sie eigentlich als entartete Kunst abtun mussten. Das Kreuz mit Wagner also: ohne ihn gäbe es keinen Mahler und Schönberg, nur … mit ihm hätte es die beiden auch fast nicht gegeben.

Bayreuth, zu seinem 200. Geburtstag, wagt Wagners wahres Wesen. Vor dem Festspielhaus schreien uns ‘verstummte Stimmen’ entgegen, diejenigen der jüdischen Artisten die im Nationalsozialismus aus Bayreuth vertrieben und oft im KZ vergast wurden. Vergast wie Elisabeth, die in der unseligen ‘Tannhäuser’-Inszenierung von Sebastian Baumgarten in einer Biogasanlage (ver)endet.

Ein Tannhäuser zum Vergasen und Vergessen

Joep van Lieshout und sein Atelier haben ein reißerisch effektheischendes Bühnenbild gestaltet, das das Leitmotiv des holländischen Künstlers in Szene setzt : die industrielle Produktion von Mensch et Ware. In diesem modernen Einheitsbrei der Globalisierung scheitert der heutige Tannhäuser genauso wie der gestrige, der an dem Gegensatz zwischen dem dionysischen Venusgarten und dem apollinischen Elisabethhimmel zugrunde ging. Und wenn Woody Allen (Was Sie immer schon über Sex wissen wollten… ) im animalisch orgiastischen Zeugungszirkus (Laichzeit) des ersten Aktes Pate steht, so übernimmt im zweiten Akt der zeigende Zeigefinger (Pleonasmus inklusive) die Regie und unterstreicht durch aufleuchtende Gyrophare und sentenziöse Sprüche Wagners wohlgemeinte Wahrheiten. Als ob die Libretti des Bayreuther Zauberers nicht schon geschwätzig genug wären. Modernes ‘Regietheater’ im schlechtesten, demagogischsten und, sagen wir ruhig, pubertären Stil also, das der Musik Wagners eigentlich nur im letzten Akt eine Chance gibt. Da setzen die Emotionen sich endlich gegen die aufdringliche Inszenierung durch und vor allem der ungarischstämmige Bariton Michael Nagy weiß zu begeistern mit seinem strengen aber auch verstehenden Wolfram, dessen empathische Autorität den Abend überstrahlt. Camilla Nylund ist eine wunderbare Elisabeth, deren volle kräftige Sopranstimme uns in einen gar nicht so paradoxen dionysischen Rausch versetzt. Torsten Kerl gibt einen ehrlichen Tannhäuser ab, ganz im Tone von Dirigent Axel Kolber der sein Orchester routiniert und professionell aufspielen lässt, ganz so als wolle er dem Regisseur nicht die Schau stehlen.

Ein ‘Holländer’ zwischen Drama und Comic

Ganz anders sein Kollege Christian Thielemann, der uns die Partitur von ‘Der fliegende Holländer’ stellenweise neu entdecken lässt. Wir kennen seinen analytischen Sinn für Details, nie aber wird diese Besessenheit zum Selbstzweck und so schenkt Bayreuths Lieblings- und Wunderkind uns jetzt schon zum dritten Mal einen emotionsgeladenen, spannenden, wunderschönen Holländer. Hier geht das Regiekonzept vollends auf. Mit Jan Philipp Gloger kann man mit Wagner und über Wagner lächeln. Hier wird das Pathos nicht wie zu oft durch Kitsch ersetzt, sondern durch Witz. Der heutige Daland ist ein Industriekapitän, dessen Arbeiterinnen Ventilatoren produzieren und in alle Welt exportieren. Wollen sie damit dem Holländer den Wind aus den Segeln nehmen und ihn und seine Mannen durch frischen Wind in eine ihnen genehme Richtung lenken ? Die (freundschaftliche) Übernahme seines Unternehmens durch den Holländer gelingt schlussendlich zur (etwas naiven und kurzsichtigen) Zufriedenheit der beiden Gesellschaften. Wagners pessimistisches Happy-End (Erlösung durch den Tod) wird hier mit viel Ironie in ein optimistisches, aber nicht ‘nachhaltiges’ Schlussbild umgedeutet. Diese Inszenierung ist, bewusst oder unbewusst, eine Hommage an Heinrich Heine: der melancholische deutsch-jüdische Romantiker lieferte Wagner den Stoff für sowohl den ‘Holländer’ als auch den ‘Tannhäuser’, was Wagner ihm eigentlich nie so richtig verzeihen konnte, denn dieser « ungemein begabte dichterischer Jude » wirkte zu einer Zeit 2wo das Dichten bei uns zur Lüge wurde », so Wagner in seiner ekeligen Schrift ‘Das Judentum in der Musik’.

Aber es wird nicht nur gelacht in dieser Vorstellung, es wird auch gedacht. Das Schiff von Daland ist ein Boot, ja fast ein Kanapee, wenn nicht sogar eine Couch beim Psychoanalytiker. Die kranke Senta ist Elektra vor der Freud’schen Psychoanalyse und leidet wie diese an Hysterie. Sie verleugnet Feminität und Sexualität und, statt sich in einen Mann aus Fleisch und Blut zu verlieben, malt und skulptiert sie den idealen Partner. Wenn dieser aber dann erscheint und auch noch männliche Atribute sein eigen nennt, darf sie sich nur im Tod mit ihm vereinen. Und so wird aus Dalands Gold-Marie eine Pech-Marie, dessen Unheil sich in großen schwarzen Streifen ankündigt, welche die bis jetzt makellosen Wände nach und nach bekleckern, Soulages lässt grüßen. Logischerweise ist Erik, der verlassene Liebhaber, hier nicht, wie zu oft dargestellt, zu wenig Mann, sondern zu viel Mann. Tomislav Muzek beweist das mit einer kräftigen und sinnlichen Stimme, auch wenn er als ‘Hausmeister’ in die alte falsche Rolle verfällt. Benjamin Bruns ist ein großartiger Steuermann der stimmlich wie schauspielerisch der Star des Abends ist, während Samuel Youn als zu netter Holländer gegen Franz-Josef Seligs zu cleverem Daland leicht abfällt. So verstehen wir umso besser wie Daland, der naive reine Deutsche, dem Holländer, dem ewigen Juden, Tor und Tür öffnet, welcher dann zuerst die Tochter, dann die ganze Rasse verführt, schwängert und kauft. Infolgedessen geistern die, wie immer herrlich perfekten, Choristen mit KZ-Nummern durch alle drei diesjährigen romantischen Opern, (siehe die oben erwähnten ‘Verstummten Stimmen’).

Lohengrin : fragen oder nicht fragen, das ist die Frage

So auch bei ‘Lohengrin’, der nach dem ‘Holländer’ und dem ‘Tannhäuser’ die Trilogie schließt, wo Wagner, vor dem ‘Parzival’, mit dem Christentum abrechnet.

Hans Neuenfels’ Inszenierung ist irgendwo zwischen dem missglückten Regietheater von Baumgarten und dem genialen Wurf Glogers angesiedelt. Dieses ‘Rattenspiel’ hat inzwischen Kultcharakter gewonnen, wahrscheinlich auch wegen den einmaligen Leistungen der Sänger, von Zeppenfeld bis Vogt. Art Spiegelmann und sein ‘Maus’ lassen grüßen. Die Ritter werden zu Ratten und wenn die entmenschten Menschen im ‘Tannhäuser’ und ‘Holländer’ noch richtig unheimlich sind, werden sie im ‘Lohengrin’ putzig und sympathisch in ihrer Hingeworfenheit und Hilflosigkeit. Diese Ratten ähneln dann auch mehr den Disneyfiguren als den armseligen Proleten eines Gerhart Hauptmanns.

Man weiß, dass Wagners Frauenfiguren kaum Kinder zeugen, dass seine Männer dagegen schon fast unverschämt fruchtbar sind, siehe Wotan, Daland und natürlich Parzival, der genau so wie sein Sohn Lohengrin am Fragen scheitert. Der Vater vergisst die Mitleidsfrage zu stellen, während der Sohn der (berechtigten) Vorwitzigkeit seiner Frau Elsa zum Opfer fällt. Und so ist Lohengrin die traurigste Oper Wagners (dixit der Meister), aber auch seine obskurantistischste, denn wie schreibt der entwagnerisierte Nietzsche: « Der Lohengrin enthält eine feierliche In-Acht-Erklärung des Forschens und Fragens. Es ist ein Verbrechen am Höchsten, am Heiligsten, wissenschaftlich zu sein. » Das gilt natürlich nicht für die Musik. Wir haben schon von Thielemanns präziser, aber auch hedonistischer Direktion gesprochen, die Chöre und Solisten sind seine idealen Partner. Samuel Youn kann als Heerrufer ungemein mehr überzeugen als als Holländer, während Wolfgang Schwinghammer durch seine (relative) schwächelnde Stimme aus der Not eine Tugend macht und überzeugend einen entmachteten, schwachen König Heinrich spielt. Thomas J. Mayer (Telramund) und Petra Lang (Ortrud) singen mit lustvoller Virtuosität ein herrlich dämonisches Verschwörerpaar, das das Publikum in einen genießerischen Rausch entführt. Bayreuths neues Traumpaar heißt Annette Dasch und Klaus Florian Vogt. Frau Dasch leidet die ganze Vorstellung über als heilige Sebastienne und singt meistens im Liegen. Die Stimme schwankt zwischen Zerbrechlichkeit und trotzender Kraft, die nie gegen die triumphierende Rivalin abfällt. Ist Vogt der definitive Lohengrin ? Seine fast countertenor-artige Stimme verleiht seinem Auftreten etwas himmlisch Übernatürliches, ja etwas Engelhaftes das uns in der reinen Schönheit des apollinischen Genießens schwelgen lässt. Müssen wir ein Wort über die Chöre verlieren, die in allen drei Aufführungen einen perfekten tanninreichen Gegenpart zu den Solisten bieten ? Ihr Chef, Eberhard Friedrich, der dem Wagner von Hergés Castafiore nicht unähnlich sieht, nimmt dann auch jeden Abend wahre Ovationen entgegen.

Christian Thieleman, in einem Bayreuther Interview mit Elke Heidenreich, zeigte sich bekümmert, dass die Kritiker mehr über die Inszenierung als über die Musik schreiben. Nolens volens ist Unterzeichneter auch in diese Falle getappt, womit der Kreis sich schließt und wir wieder bei unserem Anfang angelangt wären. Vielleicht dürften, bei allem diesem Theater über die Regie, Wagners Opern nur mehr konzertant aufgeführt werden. Sie wären dann vielleicht weniger Drama und mehr Musik, weniger gesamt, aber mehr Kunstwerk.

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