Wenn man davon ausgeht, dass Buhs, Skandale und Verrisse die beste Werbung für eine Inszenierung sind, dann steht Valentin Schwarz mit seiner Neuinszenierung des Ring des Nibelungen bereits jetzt schon auf der gewonnenen Seite. Glaubt man den Medien, von denen einige sogar den  Anfang des Endes von Bayreuth heraufbeschwören, so ist mit diesem Ring ein Tiefpunkt in der Geschichte der Festspiele erreicht. Wir hatten uns also auf eine dramaturgische Luftblase eingestellt und bekamen unseres Erachtens eine zum großen Teil tolle Regiearbeit mit wunderbar neuen Ideen und  interessanten Ansätzen zu sehen. Valentin Schwarz nimmt dabei aber dem Publikum jede Identifikationsmöglichkeit und Projektionsfläche, denn dieser Ring ist ausschließlich mit Negativ-Charakteren oder handlungsunfähigen Personen besetzt. Es gibt natürlich keinen Rhein, keine Hunding-Hütte, keine Fafner-Höhle, kein Schwert und keinen Feuerzauber. Selbst am Ende der Götterdämmerung lodern keine Flammen auf. Wotan und Alberich sind Zwillinge, wie die Videoprojektion im Rheingold-Vorspiel zeigt. Loge ist schwul, Fafner auch und pädophil dazu. Sieglinde wurde von Wotan geschwängert, Mime und Siegfried spielen mit Puppen. Und wenn dann noch das Gold im Rhein kein Gold, sondern Kinder sind, dann ist das Maß für viele Wagnerianer voll. In diesem Umfeld erlebt der Zuschauer die Entwicklung Hagens, der im Laufe der Inszenierung immer wieder auftaucht, als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener. Was Valentin Schwartz erzählt, ist die Geschichte eines mafiosen Clans, der mit Kindern handelt. Kinder sind dann auch das zentrale Thema seiner Geschichte. Kinder, die geraubt wurden und verschachert werden, Kinder die missbraucht und geschändet werden, die von Pädophilen ausgenutzt und psychisch gebrochen werden. Kinder sind die Erben. Was dieses Erbe bedeutet, das wird hier schonungslos offengelegt. Wotan und sein Clan sind Reiche oder Neureiche, die ihren Status zelebrieren. Schwartz Ring spielt ausschließlich in Walhall, einer riesigen, Luxus-Villa mit billigen, feuchten Wohnungen für das Personal und die sozial niedrigen Personen. Aber auch die sind allesamt unsympathisch.

Willkommen in Walhall also, dem Gefängnis für Reiche und Arme, einem Ort, wo es kein Entrinnen gibt. Dies alles setzt Schwartz konsequent, spannend und mit einem guten Gefühl für Timing um. Dabei bedient er sich auch verschiedener Horrorelemente. Der psychopathische Siegfried erinnert im ersten Akt an eine Slasherfigur aus einem Tobe Hooper-Film, die Nornen an Hexen aus einem Haunted House-Film, die Chorszene in der Götterdämmerung an Kubriks Eyes wide shut. Manches wirkt und ist so richtig böse.

Es ist schon interessant zu sehen, wie der junge Regisseur dieses Welttheater demontiert und entlarvt, ihm eine neue, andere Dimension gibt, die sich an die Netflix-Serien anlehnt. Dennoch gibt es noch vieles zu verbessern oder auszuarbeiten. Der 3. Akt Siegfried ist sehr schlecht entwickelt und im Liebesduett nur peinlich, die Schlussszene der Götterdämmerung ist dramaturgisch komplett missraten und erklärungsbedürftig. Auch sonst gibt es einige geschmackliche und logische Ausrutscher, die aber verbessert werden könnten.

Valentin Schwartz verzichtet konsequent auf die wichtigen klassischen Utensilien wie Speer und Schwert, wie Wasser und Feuer, wie Kröte und Drache, er ersetzt sie oft durch andere, aber für die Handlung unwesentliche und eigentlich unsinnige Gimmicks. Vieles ist leider so klein, dass es aus dem Zuschauerraum erst gar nicht zu erkennen ist. Trotzdem: Valentin Schwarz ist auf dem richtigen Weg. Hoffentlich hat er nach den Buh-Orkanen und schlechten Rezensionen noch Lust, seine Ring-Vision weiterzuentwickeln.

Musikalisch erlebte das Publikum eine an sich hochkarätige und in sich geschlossene Ring-Aufführung (Vorstellungen vom 10., 11, 13, & 15.August) mit einer interessanten Besetzung und vielen Neuentdeckungen. Allen voran sind Tomasz Konieczny als Wotan (Walküre) und Wanderer, Olafur Sigurdarson als stimmgewaltiger Alberich,  Andreas Schager als Siegfried (Siegfried), Daniela Köhler als Brünnhilde (Siegfried), Klaus Florian Vogt als Siegmund und Lise Davidsen als Sieglinde zu nennen, die alle überragende Leistungen boten. Egils Silnis gab einen stimmlich dezenten, aber psychologisch überzeugenden Wotan im Rheingold, Arnold Bezuyen einen exzellenten Mime, Okka von der Damerau glänzte als Erde und 1. Norn, Elisabeth Teige, die Senta-Sensation dieses Jahres, als Gutrune und Michael Kupfer-Radecky als flippiger Gunther waren  Weltklasse, ebenso wie Georg Zeppenfeld als Hunding, Jens-Erik Aasbo als Fasolt, Wilhelm Schwinghammer als Fafner und der unverwüstliche Albert Dohmen als depressiver Hagen, Christa Mayer als Fricka und Daniel Kirch als stimmlich sonderbarer, aber interessanter Loge. Ungerechtfertigte Buhs gab es für Iréne Theorin als Brünnhilde (Walküre, Götterdämmerung), die einige großartige Momente hatte. Stephen Gould, der in diesem Sommer 3 schwierige Heldentenorpartien zu singen hat, konnte als Siegfried in der Götterdämmerung nicht wirklich überzeugen, dazu fehlte dem mittlerweile Sechzigjährigen der stimmliche Glanz und die Höhensicherheit. Nach einem etwas schwächeren Rheingold konnte sich das Festspielorchester permanent steigern und mit schönem, ausgewogenen Spiel und Klang überzeugen. Der erst 10 Tage vor der Premiere für Pietari Inkinen eingesprungene Cornelius Meister erwies sich als Kenner des Werkes und als sicherer Verwalter eines reibungslosen Ablaufs. Zudem vermochte er immer wieder interessante Akzente in seiner transparenten Orchesterbehandlung zu setzen und war den Sängern ein idealer Begleiter.

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