Bayreuth, Festspielhaus

Pizzicato-Mitarbeiter Alain Steffen berichte von den Bayreuther Festspielen. Er hat sich Vorstellungen von ‘Der Fliegende Holländer’ und ‘Lohengrin’ angesehen.

Nachdem man den ungeliebten ‘Tannhäuser’ von Sebastian Baumgarten schon ein Jahr früher als vorgesehen abgesetzt hat, ist nun die Inszenierung des ‘Fliegenden Holländers’ von Jan Philip Gloger beim Publikum und den Kritikern an den letzten Platz der Beliebtheitsskala gerückt. Und dabei ist diese Inszenierung gar nicht einmal so schlecht. Der Holländer agiert als ausgebrannter Kosmopolit im Meer des ‘World Wide Web’, seine Mannschaft sind Jet-Set-Zombies in grauen Anzügen, Daland ein Geschäftsmann in einer finanziellen Krise, Mary die heimliche Verehrerin des Holländers und Eric der Hausmeister der Daland-Fabrik ‘Südwind’. Das alles bündelt Gloger in eine zeitgemäße Interpretation, deren handelnde Personen keine wirklichen Charaktere, sondern vielmehr Typen sind, die bewusst alle gängigen Klischees bedienen. Was Glogers Inszenierung darüber hinaus interessant macht, ist die Tatsache, des es zwischen dem Holländer und Senta tatsächlich um Liebe und nicht unbedingt um gewollte Erlösung geht. Das Prinzip Liebe aber scheitert hier an der entmenschlichten Geschäftstüchtigkeit der Welt, in der sogar der Tod zum Geschäft wird. Holländer und Senta erstarren am Schluss zu einer Pietà-Statue, diese wird dann vom pfiffigen Steuermann, einer Art Junior-Chef fotografiert und anschließend in Dalands Fabrik in Form kleiner Figuren zur Vermarktung eingepackt wird.

Ricarda Merbeth (Senta), Kwangchul Youn (Daland) & Samuel Youn (Holländer) © Bayreuther Festspiele, Nawrath

Ricarda Merbeth (Senta), Kwangchul Youn (Daland) & Samuel Youn (Holländer)
© Bayreuther Festspiele, Nawrath

Musikalisch erlebten wir am 3. August eine eher provinzielle Aufführung, die nichts auf einer Festspielbühne zu suchen hat. Samuel Youn besitzt weder die Stimme noch das Charisma für den Holländer, Ricarda Merbeths Senta ist stimmlich alles andere als attraktiv: so mittelmäßig hat man die Senta-Ballade schon lange nicht mehr gehört, Tomislav Museks lyrischer Tenor ist zwar schön, doch verfügt der Sänger über wenig Gestaltungspotential. Zudem verliert sich seine kleine Stimme im großen Raum des Festspielhauses. Nach ihrer hervorragenden Leistung als Brangäne am Vortag sang Christa Mayer als Mary auf Sparflamme. Einzig Benjamin Bruns als Steuermann und Kwangchul Youn als Daland erreichen Festspielniveau. Vielleicht ist diese mittelmäßige Besetzung einer der Gründe, warum Christian Thielemann schnell zum Tristan gewechselt ist und diesen ‘Holländer’ an Axel Kober weitergereicht hat, der schon für ihn den ‘Tannhäuser’ übernommen hatte. Kober zeigte dabei sehr viel Engagement und gute Ideen, setzte viel auf Mittelstimmen und versuchte, die Holländer-Partitur aufzulichten. Doch leider spielte das Festspielorchester an diesem Abend sehr farblos, eindimensional und unmotiviert.

Nicht aber so am folgenden Abend, wo man sich kaum schönere Klänge und spannenderes Musizieren aus dem Orchestergraben wünschen kann. Auf dem Programm stand ‘Lohengrin’, der heuer zum letzten Male läuft. Die am Anfang verschriene und ausgebuhte Produktion von Hans Neuenfels hat sich innerhalb weniger Jahre zum absoluten Publikumsliebling mit Kultcharakter entwickelt. Vielen wird der Abschied von den putzigen Ratten schwer fallen. Neuenfels Inszenierung spielt ja in einem aseptischen Labor, indem das Prinzip Liebe und das Prinzip Mensch ausgetestet werden. In dieser einzigen wirklich tragischen Oper Wagners – hier gibt es nämlich keine Erlösung, auch nicht im metaphysischen Sinne – geht dieses Experiment dann gründlich schief… .
In meinen über dreißig Jahren bei den Bayreuther Festspielen hab ich nur ganz selten so ein begeistertes Publikum erlebt, wie nach dieser ‘Lohengrin’-Vorstellung vom 4. August. Die Verpflichtung des französischen Dirigenten Alain Altinoglu, der für Andris Nelsons übernommen hatte, erwies sich als ein wahrer Glücksfall.

Szenenfoto aus 'Lohengrin' © Bayreuther Festspiele, Nawrath

Szenenfoto aus ‘Lohengrin’
© Bayreuther Festspiele, Nawrath

Altinoglu hatte absolut keine Schwierigkeiten mit der Bayreuther Akustik und konnte sogar interpretatorische Zeichen setzen. Sein ‘Lohengrin’ war spannender und dynamischer als der von Nelsons, dafür aber nicht weniger schön. Das Ensemble gehörte zum Besten, was die Wagner-Szene momentan zu bieten hat. Allen voran Klaus Florian Vogt als Lohengrin, der diese Rolle mit einer atemberaubenden Sensibilität und einer kaum zu übertreffenden Schönheit sang. Nach einem Jahr Babypause war Annette Dasch wieder einmal als überzeugende Elsa zu hören. Riesenapplaus dann auch für Petra Lang, die eine stimmlich überragende und spielerisch sehr dämonische Ortrud darstellte. Jukka Rasilainen (Telramund), Wilhelm Schwinghammer (König Heinrich) und Samuel Youn (Heerrufer) ergänzten dieses wohl beste Bayreuther Sängerensemble der letzten zwanzig Jahre.

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