Bayreuth, Festspielhaus

Pizzicato-Mitarbeiter Alain Steffen hat sich bei den Bayreuther Festspielen 2017 Barrie Koskys ‘Meistersiunegr’-Inszenierung angesehen. Und ist begeistert.

‘Die Meistersinger von Nürnberg. Vorhang auf. Erster Akt: Willa Wahnfried. Richard Wagner, seine Frau Cosima, deren Vater Franz Liszt und Hermann Levi, Dirigent der Uraufführung von Parsifal, haben sich versammelt, um eine private Aufführung von Wagners neuer Oper zu proben. Der Komponsit verteilt die Rollen. Aus Cosima wird Eva, aus Liszt Veit Pogner, aus dem jüdischen Dirigenten Levi Beckmesser und aus Wagner Hans Sachs. Damit aber nicht genug. Aus dem Klavier entsteigen Walther von Stolzing und der Lehrbube David, beide sind ebenfalls Alter egos von Richard Wagner. Zudem folgen ihnen noch ein zwölfjähriger und ein siebenjähriger Wagner. Auch die Meister und Lehrbuben treten auf, alle in Kostümen, die den Portraits des Nürnberger Malers Albrecht Dürer zu entstammen scheinen. Das Spiel kann beginnen. Am Ende des ersten Aktes erscheint der Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse, der fortan die Spielfläche für die beiden folgenden Akte sein wird.

Der australische Regisseur und Intendant der ‘Komischen Oper Berlin’ Barrie Kosky, ist der erste jüdische Regisseur, der diese deutscheste aller Opern auf dem ‘Grünen Hügel’ inszenieren darf. Bedenken muss man aber auch, dass seit Mitte der Fünfzigerjahre bis hin zu der letzten Inszenierung von Katharina Wagner (2007) die ‘Meistersinger’ ausschließlich von den Wagners (Wieland, Wolfgang, Katharina) auf die Bühne gebracht wurden.

(c) Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Kosky nimmt diese ‘Meistersinger’ aus der Zeit heraus, sieht sie als Verkörperung einer Idee. Natürlich bezieht er auch Position zum Antisemitismus, eine sehr starke sogar, – drängt sich aber nie dem Zuschauer auf. So bleiben Requisiten, Kostüme und Spielfläche nur ein Mittel zum Zweck, das dem Publikum Denkanstöße geben soll. Und dies wird ganz deutlich in der Schlussansprache von Hans Sachs, der sich  auf leerer Bühne an die Zuschauer im Saal wendet. Sicherlich einer der stärksten Momente dieser Inszenierung.

« Nürnberg ist in Wagners Oper kein realer Ort. Er ist geboren aus seiner Sehnsucht und seinem Verlangen nach einem Paradies auf Erden.“ kann man in Koskys Einleitungstext lesen. Etwas weiter heißt es dann: « So viele Nürnbergs. So viele Projektionen und Reflexionen. Wagners Nürnberg ist erschaffen aus einem Traum…. Ein Theater der Imagination Wagners, in dem er alle Rollen spielt und die Regie übernimmt. Ein Theater der Prozesse und Urteile, in dem wir, das Publikum, Richter, Jury und Zeuge spielen müssen und Wagner, in den Worten seines Schusters verkünden muss:

Ich bin verklangt und muß bestehn:
Drum lasst mich meinen Zeugen ausersehn!
Ist jemand hier, der Recht mir weiß
Der tret als Zeug‘ in diesen Kreis.!“

Und damit ist eigentlich alles über Barrie Koskys Inszenierungskonzept gesagt. Musiktheater hat immer eine Botschaft. Und diese Botschaft ändert sich, je nachdem, wer auf der Bühne steht und wer im Publikum sitzt. Und wann.

Musikalisch war die von uns besuchte Vorstellung am 19. August ein Traum. Allen voran muss Michael Volle genannt werden, der mit seinem intensiven Spiel und seinem phänomenalen Gesang einen absolut glaubwürdigen Sachs/Wagner I verkörperte. Sein Gegenspieler Beckmesser/Levi war Johannes Martin Kränzle, der seine Figur stimmprächtig und ohne wirkliche Albernheiten anlegte. Gegen diese beiden ‘Meister’ fiel dann der Stolzing/Wagner II von Klaus Florian Vogt leicht etwas ab. Ohne Zweifel besitzt Vogt eine schöne Tenorstimme, sein Vortrag aber ist leider immer gleich flach und ohne wirkliche Persönlichkeit, egal ob er jetzt Stolzing, Lohengrin oder Parsifal singt. Vom gesanglichen Standpunkt aus gesehen aber kann momentan kein anderer Wagner-Tenor ihm das Wasser reichen. Außer vielleicht Daniel Behle als David / Wagner III, dessen Stimme in letzter Zeit viel markanter und heldischer geworden ist. Zudem ist er ein begnadeter Darsteller. Hier scheint jedenfalls ein zukünftiger Stolzing und Lohengrin heranzuwachsen. Grandios der Veit Pogner / Liszt von Günther Groissböck, auf dessen weitere Entwicklung wir uns freuen. Eva/Cosima wurde von Anne Schwanewilms gesungen, die trotz einer jugendlichen Stimme nicht mehr ganz für diese Figur geeignet ist. Gerade in der Schlüsselszene zwischen Eva und Sachs im dritten Aufzug bringt sie es nicht fertig, Emotionen zu transportieren, weil ihr leider dazu die stimmlichen Mittel zu fehlen scheinen. Wiebke Lehmkuhl (Magdalena), Daniel Schmutzhard (Kothner), Karl-Heinz Lehner (Nachtwächter) und das spielfreudige Meistersinger-Ensemble ergänzten die Hauptpartien auf allerhöchstem Niveau. Der Chor der Bayreuther Festspiele (Einstudierung: Eberhard Friedrich) war wie immer in einer Topverfassung.

Ein weitere Höhepunkt dieser neuen Bayreuther ‘Meistersinger’ war zweifelsohne das Dirigat von Philippe Jordan, der mit zügigen Tempi sowie einem leichten, transparenten und wendigen Orchesterklang auf jeglichen Bombast und Pathos verzichtet. Zudem ist er ein hervorragender Sängerbegleiter, der seine Sänger wie auf Händen trägt. Langanhaltenden, lautstarken Jubel und keinen einzigen Buh-Ruf gab es zum Schluss.

 

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