Pascal Dusapin: Passion; Keren Motseri (Sopran), Georg Nigl (Bariton), Vocalconsort Berlin, Ensemble Modern, Franck Ollu; 1 CD Ensemble Modern EMCD-047; Aufnahme 2016, Veröffentlichung 23/11/2020 (74'14) – Rezension von Uwe Krusch

Wenn ein Ensemble mit diesem Stück, Passion von Pascal Dusapin vertraut ist, dann das Ensemble Modern aus Frankfurt am Main. Schon 2008 bei der Uraufführung beim Festival d’Aix-en-Provence waren sie tonangebend. Und sie haben den Kontakt zum Werk nicht verloren, so dass sie jetzt eine Einspielung vorlegen.

Der Kompositionsauftrag aus Aix verpflichtete Dusapin, bei Monteverdi anzusetzen. Und so wählte er die erste aller Opern, Orfeo. Doch bei ihm dreht sich die Geschichte sozusagen: Euridice weigert sich, aus dem Totenreich zurückzukommen, da sie als Vorwissende das Ende kennt. Und Orpheus muss sich zu ihr hinabbewegen. Dusapin geht noch weiter, wenn er die Beteiligten zeitlos universell als ‘Er’ und ‘Sie’ und den Chor als ‘Die Übrigen’bezeichnet. Sein vertonter Augenmerk, übrigens ohne jegliches Zitat, liegt auf den Affekten, mit denen Monteverdi einst seine Hauptfiguren konturierte. Von der fortwährenden Bewegung der Leidenschaften angetrieben, die ineinander übergehen, gibt die Musik von Dusapin einem keine Chance, Klang und Wort zu unterscheiden. Die Leidenschaften klammern sich aneinander, stehen sich gegenüber und teilen sich in mehrere Wege, die von den immerwährenden Gefühlen, Angst, Freude, Schmerz, Schrecken, Verlangen, Ekstase, Trauer, Liebe und Zorn, durchzogen sind. Damit zeige Dusapins Stück in losen Bildern genau das, was uns bis heute vertraut ist und was unser Leben ausmacht, heißt es zutreffend in der Pressemitteilung.

Dabei tritt die Partitur in einen Dialog mit der barocken Tradition. Ein Cembalo, wie immer beim Ensemble Modern in den alles Moderne bezwingenden und grandios darstellenden Händen von Ueli Wiget, untermauert Dusapins leise dissonante Texturen. Die Gruppe von Sängern, die Anderen, kommentieren, wie bei der Aufführung vor zehn Jahren in Luxemburg wahrzunehmen, hinter der Bühne wie ein Madrigalconsort die Emotionen, die das Werk letztendlich bestimmen. Vielleicht passt dazu die Sprache der Oper, Italienisch, besonders gut.

Lei und Lui, Sie und Er, und Die Anderen, Gli altri, sind Abstraktionen der Helden des Gründungsmythos der Oper. Allein stimmlich sind die Rollen der ‘Lui’ und ‘Lei’ herausfordernd. Dusapin hat sie dezidiert auf die Stimmen von Barbara Hannigan und Georg Nigl hin geschrieben. Er wusste um die Ausdrucksvielseitigkeit der beiden Künstler, sowie ihre Leichtigkeit selbst in höchstem Register klangschön singen zu können. Nigl nahm seinen Part auch zur Aufnahme ein, während ‘Sie’ von Keren Motseri gesungen wurde.

Nigl hat die Rolle nicht nur mehrfach gesungen, sondern lebt sie inzwischen. Sein gerade auch an Dusapin – siehe auch die ICMA prämierte Aufnahme (Pizzicato-Rezension) – geschultes Verständnis dieser Musik ermöglicht ihm eine stupende Widergabe, die keine kein Zweifel an den Emotionen aufkommen lässt.

Doch auch die junge Keren Motseri bietet keine Anhaltspunkt dafür, dass sie die Rolle nicht angenommen hätte oder den Anforderungen stimmlich nicht gewachsen ist. Vielleicht ein einziger Moment verrät Angestrengtheit. Ansonsten bewältigt sie ihre Aufgabe stimmlich genauso mit Bravour wie sie die Gefühlsbewegungen deutlich macht.

Nicht minder wichtig das Vocalconsort Berlin, dass die Kommentare in mustergültiger Geschlossenheit und Variabilität einfließen lässt.

Es gibt sehr schöne Musik in diesem Werk, das man auch als Kantate und nicht als Oper, hören könnte. Das Ensemble Modern unter der Leitung von Franck Ollu wird der kleinteiligen intensiven Partitur für Kammerorchester mehr als gerecht. Es begleitet die Vokallinie, ohne sie jemals zu drängen oder gar zu überschreiten. Darin zeigt sich dann einmal mehr, dass ein Spezialensemble für Neue Musik ebenso wertvoll ist wie eines für alte.

If any ensemble is familiar with Pascal Dusapin’s Passion, then it is the Ensemble Modern from Frankfurt am Main. They already played the premiere in Aix-en-Provence in 2008. And they have not lost contact with the work, so that they now present a recording.
The composition commission from Aix obliged Dusapin to start with Monteverdi. And so he chose the first of all operas, Orfeo. But with him the story turns, so to speak: Euridice refuses to return from the realm of the dead, because she knows how it will end. And Orpheus must join her. Dusapin goes even further when he calls the participants timelessly universal ‘he’ and ‘she’ and the choir ‘the others’. His attention, set to music, incidentally without any quotation, is focused on the affects with which Monteverdi once outlined his main characters. Driven by the constant movement of passions that merge into one another, Dusapin’s music does not give one the chance to distinguish sound from word. The passions cling to each other, face each other and divide into several paths, which are pervaded by the everlasting feelings of fear, joy, pain, horror, desire, ecstasy, sadness, love and anger. Thus Dusapin’s play shows in loose pictures exactly what is familiar to us to this day and what makes up our lives, as the press release underlines.
The score enters into a dialogue with the baroque tradition. A harpsichord, as always with the Ensemble Modern in the magnificent hands of Ueli Wiget, who conquers all modernity, underpins Dusapin’s quietly dissonant textures. The group of singers, the Others, comment, as perceived at the performance in Luxembourg ten years ago, backstage like a madrigal consort, on the emotions that ultimately determine the work. Perhaps the language of the opera, Italian, fits in particularly well with this.
Lei and Lui, She and He, and The Others, Gli altri, are abstractions of the heroes of the opera’s founding myth. Already vocally the roles of Lui and Lei are challenging. Dusapin has written them particularly for the voices of Barbara Hannigan and Georg Nigl. He knew about the expressive versatility of the two artists, as well as their ease of singing, even in the highest register. Nigl also sings his part in the recording while She is sung by Keren Motseri.
Nigl has not only sung the role several times, but is now living it. His understanding of this music, which has been especially trained on Dusapin – see also the ICMA awarded recording (review) – enables him to give a stupendous performance, which leaves no doubt about the emotions.
But even the young Keren Motseri offers no indication that she would not have accepted the role or that she is not up to the vocal requirements. Perhaps a single moment betrays strain. Otherwise she masters her task vocally with just as much bravura as she makes the emotional movements clear.
No less important is the Vocalconsort Berlin, which allows the comments to flow in exemplary unity and variability.
There is very beautiful music in this work, which could also be heard as a cantata rather than an opera. The Ensemble Modern under the direction of Franck Ollu more than does justice to the small-part intensive score for chamber orchestra. It accompanies the vocal line without ever pushing or even crossing it. This shows once again that a special ensemble for new music is just as valuable as one for old.

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