Barbara Hannigan
(c) Raphael Brand

Barbara Hannigan, auf dem Programm, mit dem Sie momentan auf Tournee sind, stehen Werke von Luigi Nono, Arnold Schönberg, Alban Berg und George Gershwin. Und bei allen steht eine Frauenfigur im Mittelpunkt.
In der Tat dreht sich das Programm um vier Frauengestalten, wobei allerdings für mich Lulu die Zentralfigur ist, der sogenannte dramatische Kern, auf den sich alle anderen Werke beziehen, resp. von dem sie inspiriert werden. Lulu ist eine starke Frau, die auf ihre innere Stimme hört, sich nicht von Konventionen binden lässt und somit das Prinzip Freiheit symbolisiert. Luigi Nono porträtiert die algerische Freiheitskämpferin Djamila Boupacha, die zum Tode verurteilt, aber dann im letzten Moment amnestiert wurde. In Schönbergs ‘Verklärter Nacht’ geht es um eine Frau, die ein Kind von einem anderen erwartet und in Gershwins ‘Crazy Girl’ um eine ähnliche Frau wie Lulu. Deshalb haben Bill Elliott und ich eine Orchestersuite zusammengestellt, die ähnlich wie die Lulu-Suite von Berg aufgebaut ist.

Ist die Rolle der Frau im Bereich der klassischen Musik eigentlich ein Thema für sie? Dirigentinnen werden ja gerne als solche belächelt.
Ganz klar nein. Und mich kümmert es auch nicht, was andere darüber denken. Ich denke, wir leben in einer Zeit, wo solche Klischees einfach keinen Platz haben. Es geht in der Kunst, wie eigentlich überall, nicht um Mann oder Frau, sondern es geht um die Person. Alles, oder jedenfalls vieles was wir tun, darf heute einfach nicht mehr geschlechtsspezifisch gesehen werden.

Sie sind eine Sängerin, die auch Dirigentin ist. Warum ist das Dirigieren bei Ihnen hinzugekommen?
Ich sehe keinen großen künstlerischen Unterschied in meinen Auffassungen, egal ob ich jetzt singe oder dirigiere. Ich bin immer dieselbe Person. Nur ermöglicht mir das Dirigieren, mich musikalisch anders auszudrücken. Und wenn ich dazu noch singe, so kann ich meinen Gesang exakt auf das Orchester und die musikalische Botschaft abstimmen, oder umgekehrt. Als Dirigent hat man natürlich eine größere Verantwortung. Ansonsten ist es ähnlich wie beim Singen. Ich muss mich einem konstanten Lernprozess unterwerfen und mich dabei immer wieder neu erfinden.

Dirigieren Sie ein anderes Repertoire wie das, in dem Sie als Sängerin tätig bin?
Zum Teil! Ich liebe es, zugleich zu singen und zu dirigieren, wie das jetzt bei unsere Tournee mit dem ‘Ludwig Orchestra’ der Fall ist. Ansonsten dirigiere ich sehr viel Stravinsky, ich werde in Kürze mit ‘The Rake’s Progress’ meine erste Oper dirigieren. Ansonsten liebe ich die Symphonien von Josef Haydn und Jean Sibelius, sowie eigentlich das gesamte spätromantische Repertoire und natürlich die Musik des 20. Jahrhunderts.

Der Name Barbara Hannigan ist für viele ein Synonym für zeitgenössische resp. moderne Musik. Ist für Sie diese Musik denn interessanter?
Sagen wir es so. Ich liebe die zeitgenössische Musik sehr und habe auch keine Probleme damit, sie zu verstehen. Ich will diese Werke einfach singen, weil es mir Spaß macht und weil ich sehr viel in ihnen entdecken kann. Und natürlich haben wir Interpreten von heute, egal ob es sich jetzt um Sänger, Solisten oder Dirigenten handelt, einfach die Pflicht, den Komponisten von heute zur Seite zur stehen. So wie das eigentlich auch immer war. Ich denke, je vielseitiger ein Künstler ist, desto mehr Erfahrung und Gestaltungsmöglichkeiten bringt er mit. Ich mache keinen künstlerischen Unterschied zwischen moderner Musik, Klassik oder Barock. Musik ist Musik.

Auf dieser Tour und auch für Ihre rezente CD-Produktion ‘Crazy Girl Crazy’ arbeiten Sie mit dem ‘Ludwig Orchestra’ zusammen, ein Ensemble, das allerdings kaum bekannt ist.
Die Musiker selbst kommen aus verschiedenen Orchestern. Das Ensemble wurde erst 2012 von sechs Musikern gegründet, die ein dynamisches, flexibles und abenteuerlustiges Orchester haben wollten. Und so findet man im ‘Ludwig Orchestra’ nur zu hundert Prozent motivierte Musiker. Für mich ist es einfach unglaublich, mit diesen Musikern zu arbeiten. Sie sind genauso wie ich, denken und fühlen in ähnlichen Dimensionen. Und sie sind getrieben von dieser inneren Kraft, beim nächsten Mal es noch besser zu machen. Mit ihnen wird jedes Werk zu einem ‘work in progress’, in jedem Konzert finden wir neue Aspekte und probieren sie aus. Und das macht unheimlichen Spaß.

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