Yannik Nézét-Séguin
(c) George Etheredge

Wenn man eine erstklassige Wagner-Besetzung hören will, dann muss man nicht unbedingt zu den Bayreuther Festspielen reisen. Denn was uns Yannick Nézet-Séguin, das Rotterdam Philharmonic Orchestra und ausgewählte Solisten der Metropolitan Opera New York, im Festspielhaus Baden-Baden an orchestraler, sängerischer und interpretativer Klasse boten, dürfte nach Ansicht unseres Mitarbeiters Alain Steffen kaum übertroffen werden können.

Das Ensemble befindet sich im Moment mit der konzertanten Aufführung von Die Walküre auf einer Minitournee, die in Rotterdam begann und über Baden-Baden und Dortmund nach Paris  führt. Und ehrlich gesagt, es tat gut, einmal nicht die üblichen Verdächtigen zu hören, sondern Bekanntschaft mit einer ganz neuen Riege von Sängern zu machen. Und die rissen das Publikum schier von den Stühlen und wurden am Ende mit minutenlangem Jubel und Standing Ovations gefeiert. An erster Stelle aber muss der Dirigent Yannick Nézet-Séguin genannt werden. Fast kammermusikalisch fein und doch kraftvoll entwickelte er die Partitur, hielt immer wieder inne, ließ die wichtigen Momente mit expressiver Größe erklingen und nahm diesem Wagner jede schwere Wucht. Große Bögen und endlose Melodien beherrschten das Klanggeschehen. Es schien, als wäre der Dirigent wirklich verliebt in die Musik von Wagner, und das Rotterdam Philharmonic wiederum in seinen Dirigenten. Denn was die Orchestermusiker an diesem Abend in Baden-Baden boten, das war Weltklasse. Keine Patzer, keine leere Minute, kein Durchhänger; wie gebannt folgte das Orchester dem engagierten Dirigat seines Dirigenten und übertraf alle Erwartungen, die man in Sachen Präzision, Klangschönheit oder Expressivität gestellt haben dürfte. Das eigentliche Wunder war, wie Nézet-Séguin und das Rotterdam Philharmonic Orchestra die Sänger wie auf Händen trugen. Immer wieder suchte der Dirigent den Kontakt zu seinen Solisten, um sie so gut wie nur möglich zu begleiten und zu unterstützen. Und davon profitieren letztendlich alle, so dass die Gesamtleistung fast die Perfektion einer Studioaufnahme besaß und in ihrer Art, ihrem Stil sehr an die legendäre Karajan-Produktion erinnerte. Also ein sehr weicher, kammermusikalischer und äußerst sängerfreundlicher Wagner, bei dem niemand forcieren musste und alle Solisten wunderbar gelöst aussingen konnten.

Die französische Antwort auf Andreas Schager, Klaus Florian Vogt oder Jonas Kaufmann hieß Stanislas de Barbeyrac. Er sang den Siegmund sicher und ohne Anstrengung, nahm sich Zeit für jede Phrase und begeisterte mit einem ungemein schönen Gesang. Ein gutes Beispiel dafür, wie belcantesk man Wagner doch singen kann. De Barbeyrac ist zudem ein wirklicher Heldentenor mit schier unerschöpflichen Reserven, einer sicheren Höhe, einem sehr schönen, lyrischen Timbre und einer gesunden baritonalen Basis. In Vortrag und Gesangskultur erinnerte er manchmal sehr stark an Sänger wie James King oder Jon Vickers.

Elza van den Heever war eine ideale Sieglinde. Obwohl sie erst jetzt in Rotterdam  dieser Partie debütiert hatte, gestaltete sie die Rolle enorm sicher und persönlichkeitsstark. Auch stimmlich und stilistisch passte sie hervorragend zu Stanislas de Barbeyrac.

Wie eine Urgewalt wirkte der Gesang des muskelbepackten  Soloman Howard als Hunding, der hier die Linie der schwarzen Bässe eines Frick, Greindl oder Salminen fortsetzt und mit einem edlen Vortrag immer sehr lyrisch blieb. Karen Cargill war eine persönlichkeitsstarke Fricka, die mit ihrer kraftvollen Stimme den Wotan von Brian Mulligan zurecht wies. Mulligan ist ein Heldenbariton und mit seiner leichten, biegsamen Stimme ohne wirkliches Bassfundament vielleicht nicht der ideale Wotan-Sänger. Aber in diesem Team von schlanken, schönen und lyrischen Stimmen passte seine Interpretation, die insbesondere in den Monologen des 2. Aktes und im Schlussdialog mit Brünnhilde Akzente setzen konnte. Als Brünnhilde hörte man die US-amerikanische Sopranistin Tamara Wilson. Ich kann mich nicht erinnern, diese Partie jemals so perfekt und schön ausgesungen gehört zu haben, wie an diesem Abend. Wilson ist ohne Zweifel die große Hoffnung für das hochdramatische Fach, nicht nur weil sie eine Wahnsinnshöhe hat und stimmliche Sicherheit besitzt, sondern vor allem weil ihre Stimme eigentlich sehr leicht, biegsam und jugendlich klingt. Im Gegensatz zu vielen anderen Aufführen, waren hier die acht anderen Walküren, nicht mit zweit- oder drittklassigen Sängerinnen besetzt, sondern ausnahmelos mit Top-Interpretinnen. Wir erlebten also in Baden-Baden eine herausragende Aufführung von Wagners Walküre.

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