Ende vergangener Woche ging im schweizerischen Bad Ragaz das 10. und letzte VP Bank Classic Festival zu Ende. Die Reihe im Zeichen hochbegabter Klassik-Nachwuchs-Musiker und -Ensembles ging im Grand Resort Bad Ragaz unter der künstlerischen Leitung von Drazen Domjanic über die Bühne. Nach dem Festival-Finale sprachen wir mit dem Publizisten Martin Hoffmeister.
Herr Hoffmeister, wer über Jahre zum Festival nach Bad Ragaz reist, kommt mit spezifischen Erwartungen. Welche Beweggründe standen bei Ihnen im Vordergrund?
Erfolge von Festivals stellen sich selten von alleine ein. Es reicht heute nicht mehr, große Namen einzuladen und mit austauschbaren meta-musikalischen Zusatz-Angeboten aufzuwarten. Das Zauberwort heißt vielmehr: Authentizität. Das Publikum nimmt deutlich wahr, ob Künstler-Tableaus, Programme und Spielorte kurariert sind, ob sich diese Triade zumal einpasst in ein ästhetisches und atmosphärisches Gesamtgefüge. Genius loci, auratische Strahlkraft und verdichtetes Kunstschaffen bedingten sich und korrelierten immer schon. Vor diesem Hintergrund präsentierte sich das VP Bank Classic Festival in Kooperation mit dem Grand Resort über 10 Jahre als solitäre wie exemplarische Institution im Zeichen musikalischer Nachwuchsförderung. Man wusste die natürlichen Ressourcen und Potentiale der Beteiligten sinnstiftend zu einem suggestiven Angebot zusammenzubinden, sodass Hotelgäste und auswärtige Besucher gleichermaßen das einzigartige Amalgam aus Hospitality, Ambiente und Kunsterfahrung genießen konnten.
Von anderen Festivals unterscheidet sich die Reihe insbesondere durch den Fokus auf Nachwuchsmusiker. Trägt dieser Grundgedanke einen einwöchigen Konzerte-Reigen?
Unbedingt. Denn vor allem aus dieser Leitidee bezieht die Reihe ihren Reiz und ihre Alleinstellungsmerkmale. Wir erleben weltweit eine regelrechte, fast flächendeckende Festival-Inflation. Viele dieser Angebote sind austauschbar und selbst in der Integration von Nachwuchsreihen berechenbar. Insofern kann man mit einer Konzentration auf den Klassik-Nachwuchs ohne weiteres punkten und neue Akzente setzen. Abgesehen davon handelt es sich bei den gastierenden Musikern ausschließlich um Künstler, die sich auf dem Sprung zu einer internationalen Karriere befinden und bereits über entsprechende Erfahrungen verfügen.
Festival-Intendant und künstlerischer Leiter ist seit Beginn der Geschäftsführer der Internationalen Musikakademie Liechtenstein und des Sinfonieorchesters Liechtenstein, Drazen Domjanic. Welche Rolle spielen diese Einrichtungen für das Festival in Bad Ragaz?
Ohne die Musikakademie, ihren Spritus rector und die mit der Akademie verbundenen Musiker hätte das Festival kaum in dieser Konsistenz etabliert werden können. Da geht es um Networking, kurze Wege, eingespielte Teams, die mit der Akademie verknüpften künstlerischen Standards und die erprobte Kooperation mit Sponsoren wie der Liechtensteiner VP-Bank. Ohne solche personellen, logistischen und finanziellen Rahmenbedingungen wäre die Reihe nicht denkbar gewesen.
Die 2010 ins Leben gerufene Akademie steht nicht nur beispielhaft für Karrieren wie die von Künstlern wie Aaron Pilsan, Kian Soltani, Andrei Ionita, Noa Wildschut, Adrien Boisseau, Yury Revich, Eva Gevorgyan, Sara Domjanic oder der diesjährigen Artists in Residence Christoph Heesch und Dmytro Choni, sondern zeichnet auch verantwortlich für die Gründung des renommierten Ensemble Esperanza, das 2020 fünfjähriges Bestehen feiert…
In den wenigen Jahren seit seiner Gründung hat die Formation nachhaltig Erfolgsgeschichte geschrieben mit hochdekorierten CD-Einspielungen und Konzerten auf wichtigen europäischen Bühnen. Auch das Festival in Bad Ragaz konnte substantiell profitieren vom breiten Repertoire-Spektrum und der musikantischen Emphase des Ensembles. Mit der französisch-armenischen Geigerin Chouchane Siranossian konnte Drazen Domjanic zudem eine namhafte Protagonistin der internationalen Szene als Konzertmeisterin verpflichten. Vor allem ihr verdankt das Ensemble neben eminenter Spannkraft und Präzision, seine bemerkenswerte Homogenität, seine dynamischen Schattierungs-Potentiale, das spezifische Kolorit und die Lichte und Transparenz seiner Exegesen. Das Ensemble vereint vorbildlich Spiellaune und die besten Errungenschaften historisch-informierten Musizierens.
Nach der 10. Ausgabe ist das Festival nun Geschichte. Welche Erkenntnisse haben Sie mitgenommen aus den zurückliegenden Ausgaben, insbesondere aber aus dem aktuellen Jahrgang?
Die Langzeit-Perspektive eröffnet natürlich den Blick auf Metamorphosen und ermöglicht Vergleiche. Besonders aufschlussreich war für mich immer der Blick auf die Entwicklung einzelner Musiker, die als Solist oder Mitglied des Ensemble Esperanza regelmäßig im Grand Resort zugegen waren. Man kann unglaublich viel über Musik, Musiker und Musikszene lernen im Spiegel solcher Jung-Karrieren. Man erkennt konsequente und substantielle künstlerische und handwerkliche Entwicklungen ebenso wie Stillstand, Abstürze, Überforderungen oder Beratungsresistenz. Man erfährt überdies einiges über musikalischen Zeitgeist und spezifische Charakteristika nachwachsender Musiker-Generationen. Wer sich darauf einzulassen vermag, entdeckt die Grundzüge musikalischer Phänomene und Tendenzen von morgen. In solch’ verdichteter Form wird einem das nur selten geboten.
Was schätzen die Musiker an diesem Festival, was fordert sie gegebenenfalls besonders heraus?
Als Künstler bewegt man sich im Grand Ressort für fast zwei Wochen im Ausnahmezustand im besten Sinne. In der grandiosen Hermetik des Hotelumfelds spielen Alltagsfragen keine Rolle. Man kann völlig auf Proben, Konzerte, den Dialog und Erfahrungsaustausch mit anderen Musikern fokussieren. Das Festival kreiert gewissermaßen einen geschützten Raum, in dem man sich erproben, vergleichen und messen kann, ohne sich dem Druck ausgesetzt zu fühlen, den Auftritte in großen Konzerthäusern mit sich bringen. Auch damit generiert das Festival Dimensionen der Intimität und Intensität, die sowohl Dialog zwischen Musikern und Publikum anstoßen als auch tiefgreifende Wahrnehmung unterstützen.
Formate wie das VP-Bank Classic Festival ermöglichen erfahrungsgemäß auch unkonventionelle dramaturgische Wege. Was brachte der diesjährige Jahrgang?
Eine kleine, insbesondere der Kammermusik verpflichtete Reihe ist natürlich auf allen Ebenen beweglicher als die großen Festival-Dampfer.
Programmatisch und personell kann man flexibler agieren, ist weniger an das kanonische Repertoire gebunden und in der Lage, an einem Konzertabend verschiedene Musiker und/oder Ensembles zu präsentieren. Das Publikum profitiert auf diese Weise zum einen von Abwechslung und Kurzweil, zum anderen erfährt es ein repräsentatives Bild von den Potentialen der Next Generation. Besonders eindrücklich in diesem letzten Festival die Abende mit dem Ensemble Esperanza, das Werke von C.Ph.E. Bach, Ludwig van Beethoven, George Enescu und Arvo Pärt mit Verve, Raffinement und Präzision ebenso zu lesen wusste wie Musik von Shostakovich, Bartok, Popper, Anderson und Edvard Mirzoyan. Einnehmend zudem das Harfen-Rezital der 17-jährigen Russin Alisa Sadikova, die einen weiten musikalischen Bogen schlug vom Barock über die Romantik bis ins 20. Jahrhundert und entlang des vielgesichtigen Repertoires ihr eminentes handwerkliches Vermögen ausfaltete.
Mit Empathie begleiten wird der Besucher ebenso die weitere Entwicklung der beiden Artists in Residence Christoph Heesch und Dmytro Choni, die ihre Kunst in verschiedenen Besetzungs- und Werkekonstellationen einzubringen wussten. Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund bleibt zu hoffen, dass aus Liechtenstein auch zukünftig umfassende und inspirierende Impulse für die Konzertbühnen der Region ausgehen werden.