Conrado del Campo: Streichquartette Nr. 3 & 5; Quatuor Diotima (Yun-Peng Zhao, Léo Marillier, Violine, Frank Chevalier, Viola, Pierre Morlet, Cello); 1 CD MarchVivo MV005; Aufnahme 04.2022; Veröffentlichung 09.2022 (75'46) – Rezension von Uwe Krusch

Wenn selbst die spanischsprachige Wikipedia-Seite zu Conrado del Campo y Zabaleta, der von 1878 bis 1953 lebte, nur drei seiner dreizehn Streichquartette erwähnt, dann wird hier wohl jemand weitgehend übersehen. Ob zu Recht, kann an dieser Aufnahme geprüft werden, die im Rahmen einer Gesamteinspielung zusammen mit der erstmaligen Veröffentlichung aller Quartette im Druck ein neues Licht auf diesen Komponisten werfen möchte. Del Campo, auch Violinist, Bratschist, Dirigent und Lehrer, hat einen Katalog von mehr als 200 Werken auf fast allen Gebieten hinterlassen. Eines seiner Markenzeichen sind Zarzuelas.

Immerhin sind zu seinem Gedenken der nach ihm benannte Lehrstuhl für Komposition am Königlichen Konservatorium von Madrid und ein dort verliehener Preis für Streichquartett geblieben. Doch über diesen Rahmen hinaus dürfte er nur wenigen bekannt sein. Beide im Konzert mitgeschnittene Werke stammen aus der früheren Phase seiner Aktivitäten kurz nach seinem Studium. Insgesamt hat er sich über fünf Dekaden mit der Gattung beschäftigt. Ein 14. Quartett ist verloren gegangen.

Beeinflusst wird sein Werk einerseits von seiner musikalischen Heimat Spanien, andererseits beeindruckten ihn die großen Form mit ihrem zyklischen Aufbau und der spätromantischen von Chromatik geprägte Harmonik, wie sie in der deutschen Musikwelt der Zeit zu finden sind. Als spontan agierender Mensch, der seine Stücke in kurzer Zeit komponierte, schuf er gerade in den Quartetten dichte, miteinander korrespondierende Texturen, die in kunstvollen Verzierungen lange Ketten motivischer Arbeit verbanden, die den Hörer gerade aufsaugen. Dabei verließ er die Grenzen der Tonalität nicht.

Das fünfte Quartett erklingt in der Version mit sechs Sätzen. Dieses einzige früher schon publizierte Quartett wurde oft aufgeführt. Campo bezog seine Inspiration aus Gedichten von Gustavo Adolfo Bécquer; so ist auch der Titel ‘romantische Eingebungen’ erklärlich. Dabei überwiegt eine mehr farbige Umsetzung. Basierend auf einer melancholischen Grundidee findet das Werk im zweiten und vor allem im fünften Satz auch größere Passagen lichten Charakters. Mit sinfonischer Dauer von mehr als fünfzig Minuten sprengte es die Auffassungsgabe früherer Epochen, so dass erst jetzt wieder diese vollständige Aufführung der ursprünglichen Fassung zu hören ist.

Das dritte Quartett ist dagegen mit nur zwei Sätzen, aber immerhin auch fast einer halben Stunde Dauer, geradezu klein dimensioniert. Diese Äußerlichkeiten täuschen aber. Nur zwei Sätze sind komplett in Stimmen überliefert. Von zwei weiteren findet sich heute bisher nur die Stimme der ersten Violine. Der Grund ist nicht klar, ob die Stimmen verloren sind oder Campo das Werk nicht vollendete. Den ersten Satz prägt nach einer Einleitung eine klassische Sonatensatzform mit zwei Themen. Im zweiten Satz lassen sich formale Ideen von den späten Quartetten Beethovens ebenso erkennen wie die Nähe zu Tristan und Isolde von Wagner nicht zu leugnen ist.

Das Quatuor Diotima langt wieder einmal im besten Sinne mit Esprit und Kraft zu. Zu ihrem immer erlesenen Spiel muss man eigentlich nicht viel sagen. Sowohl die romantische Wucht wie auch die Feinheit der Strukturen der Werke werden im Spiel des Quartetts ebenso plastisch wie spontan und mit immenser Zuwendung fast schön körperlich erlebbar gemacht; hier ist es nicht der hämmernde Bass von Rockmusik, der wirkt, sondern die reichhaltige Gedankenwelt des Conrado del Campo, die vom Quatuor Diotima ebenso die Musik schäumend wie die formellen Aspekte klar seziert präsentiert wird.

Das einzig störende an dieser Aufnahme ist wieder einmal der Applaus, der dann nicht einmal so überschwänglich klingt, wie es das Agieren der vier Instrumentalisten verdient hätte. Ansonsten ist die Veröffentlichung mit exzellenter Arbeit des Studios, einem informativen Beiheft, das auch die Texte der Gedichte zum fünften Quartett mitliefert und so zu weiterer gedanklicher Vertiefung anregt, rundum gelungen.

If even the Spanish-language Wikipedia page on Conrado del Campo y Zabaleta, who lived from 1878 to 1953, mentions only three of his thirteen string quartets, then someone is probably being largely overlooked here. Whether rightly so can be tested by this recording, which, as part of a complete recording together with the first publication of all the quartets in print, seeks to shed new light on this composer. Del Campo, also a violinist, violist, conductor and teacher, left a catalog of more than 200 works in almost every field. One of his trademarks are zarzuelas.

After all, what remains of his activities are the chair of composition named after him at the Royal Conservatory of Madrid and a prize for string quartet awarded there. But beyond this, he is probably known to only a few. Both works recorded in the concert date from the earlier phase of his activities shortly after his studies. In all, he has been involved with the genre for over five decades. A 14th quartet is lost.

On the one hand, his work is influenced by his musical homeland Spain; on the other hand, he was impressed by the large-scale form with its cyclical structure and late Romantic harmony marked by chromaticism, as found in the German musical world of the time. As a spontaneously acting person, who composed his pieces in a short time, he created especially in the quartets dense textures corresponding with each other, which connected in artful ornaments long chains of motivic work, which just absorb the listener. In doing so, he did not abandon the boundaries of tonality.

The fifth quartet is heard in the six-movement version. This is the only previously published quartet that was more often performed. Campo drew his inspiration from poems by Gustavo Adolfo Bécquer; this explains the title ‘romantic inspirations’. A more colorful realization predominates. Based on a melancholy basic idea, the work also finds larger passages of lighter character in the second and especially in the fifth movement. With a symphonic duration of more than fifty minutes, it went beyond the comprehension of earlier eras, so that only now this complete performance of the original version can be heard again.

The third quartet, on the other hand, is almost small in size, with only two movements, but still lasting almost half an hour. These appearances are deceptive, however. Only two movements have survived in complete voices. Of two others, only the part of the first violin is found today. The reason is not clear, whether the parts are lost or Campo did not complete the work. After an introduction, the first movement is characterized by a classical sonata form with two themes. In the second movement, formal ideas from Beethoven’s late quartets can be detected as well as the proximity to Wagner’s Tristan und Isolde cannot be denied.

The Quatuor Diotima once again bites the dust with esprit and power in the best sense of the word. Not much really needs to be said about their always exquisite playing. Both the romantic force and the fineness of the structures of the works are made to be experienced in the quartet’s playing as vividly as spontaneously and with immense devotion almost beautifully physically; here it is not the hammering bass of rock music that is effective, but the rich world of thought of Conrado del Campo, which is presented by the Quatuor Diotima just as the music foams as the formal aspects are clearly dissected.

The only disturbing thing about this recording is once again the applause, which then does not even sound as exuberant as the performance of the four instrumentalists would have deserved. Otherwise, the release with excellent work of the studio, an informative booklet, which also provides the texts of the poems to the fifth quartet and thus stimulates further thought, is successful all around.

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