Johannes Brahms: Streichquartett Nr. 1, Klarinettenquintett; Thorsten Johanns, Klarinette, Aris Quartett (Anna Katharina-Wildermuth, Noémi Zipperling, Violine, Caspar Vinzens, Viola, Lukas Sieber, Cello); 1 CD Genuin 20704; Aufnahme 2/2020; Veröffentlichung 10/2020 (70'48) – Rezension von Uwe Krusch

Das Erste Streichquartett und das Klarinettenquintett von Johannes Brahms erweitern die Palette der Aufnahmen des Aris Quartetts um einen weiteren großen Namen. Und wieder gelingt ihnen eine wunderbar durchleuchtete Sicht auf die Werke.

Abermals finden sie eine eigene Lesart, die mit nicht übertriebenen Tempi der Musik die Chance gibt, trotz der sowohl musikalischen anfordernden Textur als auch technischen schwierigen Ausgestaltung weder die Musiker noch die Zuhörer überfordert. Vielmehr entfalten sie die Kompositionen mit allen Eigenheiten und gestalten trotzdem die Strukturen überzeugend im Zusammenhang.

Der von Schönberg geprägte Begriff der ‘entwickelnden Variation’ findet insbesondere im Kopfsatz des Quartetts seine prägnante Ausformung. Die sich ständig fortschreibenden, immer neuen Varianten bilden motivische Keimzellen, die sich nach Schönberg hier auf ein einziges kurzes Motiv zurückführen lassen, aus dem alle Themen des Satzes durch Techniken wie Vergrößerung, Umkehrung etc. ableitbar sind. Der Kopfsatz des Quartetts ist auch das ausgeprägte Beispiel einer alle Grenzen überschreitenden Quartettmusik, der klanglich wie affektiv maßlos zu sein scheint. Dem Aris Quartett gelingt es geradezu mühelos, alle diese Aspekte abzubilden und die Energie aufzubauen und aufrecht zu erhalten, die in jeder kleinen Begleitfigur steckt. Die Quartette von Brahms sind so herausfordernd, dass sie die Grenzen des auf nur vier Instrumente zu sprengen scheinen. Doch die Mitglieder des Aris Quartetts bewältigen diese Herausforderungen mit leichter Hand und sicherem Gespür für die Musik.

Beim Quintett fügt sich Thorsten Johanns in das Team ein, der ebenfalls schon wiederholt mit überzeugenden Beiträgen aufgefallen ist (Pizzicato Rezensionen hier und hier).

Mit himmlisch weichem Klang eröffnen die Streicher, den der Klarinettist einfühlsam übernimmt. Gut, sein Instrument eignet sich für solche schmelzenden Einsätze, aber trotzdem muss man einen gemeinsamen Ton finden. Von diesem Ausgangspunkt ausgehend entwickeln sie das Quintett mit aller Feinheit und Finesse. Einfach schön!

The First String Quartet and the Clarinet Quintet by Johannes Brahms add another great program to the Aris Quartet’s range of recordings. And once again they succeed in creating a very transparent interpretation of the works.
They find their own approach, which, with not exaggerated tempi, gives the music a chance to be heard without overburdening either the musicians or the listeners, despite both the musically demanding textures and technically difficult structures.
Schönberg’s term ‘developing variation’ finds its concise expression especially in the first movement of the quartet. The constantly progressing, ever new variations form motivic germ cells, which, according to Schönberg, can be traced back here to a single short motif, from which all the themes of the movement can be derived through techniques such as enlargement, inversion, etc. The first movement of the quartet is also a distinctive example of quartet music that transcends all boundaries and seems to be sound-wise and affectively excessive. The Aris Quartet succeeds almost effortlessly in depicting all these aspects and in building up and maintaining the energy that is inherent in every small accompanying figure. Brahms’ quartets are so challenging that they seem to push the boundaries of the four-instrumental range. But the members of the Aris Quartet master these challenges with a light hand and a sure feeling for the music.
In the quintet, Thorsten Johanns joins the team. He has also repeatedly attracted attention with convincing contributions. (Pizzicato reviews here and here). The strings open with a heavenly soft sound, which the clarinettist takes over sensitively. Well, his instrument is suitable for such melting inserts, but nevertheless one has to find a common tone. Starting from this starting point, they develop the quintet with all its subtlety and finesse. Simply beautiful.

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