Dmitri Shostakovich: Symphonien Nr. 6 & 7 + King Lear-Suite op. 58a; Festouvertüre op. 96; Boston Symphony Orchestra, Andris Nelsons; 2 CDs Deutsche Grammophon 4836728; Aufnahmen 2017, Veröffentlichung 02/2019 (132') – Rezension von Remy Franck

Knisternde Spannung zeichnet das Largo der Sechsten Symphonie aus, mit der dieses Set beginnt. Das ist keine reflektive Musik, nichts Melancholisches, es ist pure Angst, zitternd geflüsterte Angst, mit, am Schluss, einem Schuss Verzweiflung.

Danach werden die kurzen Sätze Scherzo und Presto fulminant gespielt, haben aber einen weitaus verspielteren (und letztlich bedeutungsärmeren) Charakter als etwa bei Mariss Jansons, der die Motorik der Musik erbarmungsloser werden lässt und den vermeintlichen Humor dieser Musik mit einem Film gleißender Kälte überzieht oder gar bei Kitajenko, der die Musik der beiden Sätze derart schärft und beißend grotesk sowie verbohrt gestaltet, dass es den Hörer schon fast physisch schmerzt. Da offenbart sich dann, was Nelsons alles fehlt, wenn er Shostakovich dirigiert.

Die Siebte beginnt Allegretto, so wie die Satzbezeichnung lautet. Ein Sommerspaziergang! Der Rest des Satzes gelingt Nelsons nicht schlecht, und es gibt viel genüsslich Schräges, aber andere Dirigenten (Kitajenko, selbstverständlich, aber auch Masur, Jansons, Rozhdestvensky) haben dennoch mehr an Zynisch-Sarkastischen aus der Musik herausgenommen, die für mich bei Nelsons nicht genug Drama hat.

Das Poco Allegretto ist sehr schwach und wirkt konzeptlos. Im Vergleich dazu haben Vasily Petrenko etwa, und Kitajenko sowieso, viel mehr aus diesem Satz herausgeholt.

Das Adagio beginnt wie die Intermezzi aus ‘Notre-Dame’ oder ‘Cavalleria Rusticana’, taucht dann in Fast-Stille (das können Nelsons und die Bostoner richtig gut), und wirkt im Folgenden recht packend.

Das Finale dieser Liveeinspielung der Leningrader Symphonie ist ebenfalls nicht vollauf überzeugend. Nelsons wirkt sehr zurückhaltend und kann den Hörer nicht wirklich ergreifen.

Die ‘King Lear’-Musik und die ‘Festliche Ouvertüre’ werden brillant gespielt.

Das Problem mit den Interpretationen der beiden Symphonien ist wohl, dass sie keine klare Linie verfolgen. Einerseits distanziert sich Nelsons von jenen Dirigenten, die Shostakovich unbelastet von den Umständen dirigieren, unter denen seine Werke entstanden sind, ihn also als reinen Symphoniker sehen, andererseits gelingt es ihm nicht immer, den Hintergrund zu vertiefen.

The problem of Andris Nelsons’s Shostakovich performances is that they lack unity and a clear concept. Some parts are terrific and breath-taking, but all too often the music lacks depth and the power of the grotesque.

 

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