Es gibt wenige Orte in der europäischen Musikfestival-Landschaft, bei denen sich die oftmals überstrapazierte Rede vom genius loci so überzeugend einlöst wie beim Nordland Music Festival im norwegischen Bodo. Die Hauptstadt der Provinz Nordland liegt nördlich des Polarkreises am äußersten Ende einer malerischen Halbinsel, die weit in den Vestfjord hineinragt. Umgeben wird sie von urzeitlichen Gebirgsformationen, die sich bis zu 1200 Meter über das Meer erheben. Diese einzigartige Küstenlandschaft mit ihren spektakulären Sichtachsen prägt auch den Geist von 'Nordland Musikkfestuke', wie das Festival in der Landessprache heißt. So spiegelt sich die topographische Offenheit und Weitläufigkeit auch in der Programmatik und dem Angebotsspektrum. Ob Klassik, Jazz, Worldmusic, Singersongwriter, Folk oder Electronic – das zehntägige Festival setzt zum einen auf international etablierte Künstler wie 'L’Arpeggiata', 'Britten Sinfonia', Mari Boine oder Bugge Wesseltoft, sie stellt aber auch ebenso originelle wie innovative norwegische Formationen wie 'Pixel' oder 'Elephant 9' vor, die es noch von einem breiteren europäischen Publikum zu entdecken gilt. Im Gespräch mit Andreas Höll erläutert Direktor André W. Larsen seine Vision eines unverwechselbaren Festivals.

Konzert der samischen Sängerin Mari Boine vor grandioser Kulisse

Herr Larsen, das Alleinstellungsmerkmal Ihres Festivals ist die besondere Verbindung von Musik und arktischer Natur. Welche besonderen Spielorte haben Sie dieses Jahr ausgewählt?
Wir versuchen, möglichst viele Open-Air-Spielorte miteinzubeziehen. Wir präsentieren täglich Mittagskonzerte auf dem zentralen Platz in der Stadt, aber wir setzen auch auf spektakulärere Szenerien wie zum Beispiel den 366 Meter hohen Berg Keiservarden, der übrigens nach dem deutschen Kaiser Wilhelm II. benannt ist, der hier vor über einhundert Jahren zu Gast war. Dort fand dieses Jahr das Konzert der samischen Sängerin Mari Boine vor grandioser Kulisse statt – mit fantastischem, sonnigen Wetter, bei 25 Grad. Und dieses Wetter hier in der Arktis kann man wahrlich nicht jedes Jahr erwarten. Wir haben aber auch ein Konzert auf einer kleinen Insel veranstaltet, inmitten der unvergleichlich magischen Landschaft. Insgesamt haben wir 53 Konzerte für 22 verschiedene Locations konzipiert, Kirchen, Kneipen, Konzerthallen, Jazzclubs, aber auch das Norwegische Luftfahrtmuseum mit seinen in der Luft schwebenden Kampfjets. Und da kommt es mir vor allem darauf an, dass der spezifische Ort eine eigene Aura für das jeweilige Konzert kreiert.

Konzert der samischen Sängerin Mari Boine vor grandioser Kulisse

Konzert der samischen Sängerin Mari Boine vor grandioser Kulisse

Das Festival wurde 1980 gegründet. Wie hat sich das musikalische Konzept in den letzten Jahrzehnten entwickelt?
Vor 34 Jahren begannen wir als ein Festival für Kirchenmusik, aber das Ganze ist jetzt sehr viel umfassender. Der Schwerpunkt ist eindeutig die Klassik, und mir ist da vor allem die Alte Musik und die Musik des Barock ein Herzensanliegen, seit ich vor vier Jahren als Direktor antrat. Wichtig für unser Profil ist aber auch der jährlich wechselnde ‘Artist in residence’, denn ein großer Teil des Programms hängt von diesem Künstler ab. Dieses Jahr ist es der norwegische Violinist Henning Kraggerud, der ein fantastischer Musiker ist und die romantische Musik, vor allem die Norwegens, sehr liebt.

Violinist Henning Kraggerud mit der 'Britten Sinfonia'

Violinist Henning Kraggerud mit der ‘Britten Sinfonia’

Henning spielte insgesamt fünf verschiedene Konzerte bei diesem Festival, und das begann mit einer Soloimprovisation in der örtlichen Kunsthalle vor dem Seestück eines norwegischen Malers des 19. Jahrhunderts. Das setzte sich dann fort beim offiziellen Eröffnungskonzert in der Kathedrale mit der Britten Sinfonia, wo hauptsächlich norwegische Romantik gespielt wurde wie Johann Svendsen, Edvard Grieg, Johann Halvorsen, dazu gab es englische Musik von Peter Warlock und John Rutter. Nicht zuletzt wurde das Stück ‘The Last Leaf’ gegeben, das der 1973 geborene Kraggerud in unserem Auftrag komponiert hatte, denn er ist auch Komponist. Des weiteren gab es ein exklusives Konzert mit ihm in einem stimmungsvollen Pub, das gerade durch die Intimität bestach und eine große Nähe zu dem Musiker zuließ, sowie ein Duo mit dem Jazzmusiker Bugge Wesseltoft, bei dem seine von der Klassik geprägte Art des Improvisierens mit jener des Jazzidioms von Bugge zusammentraf. Und im Luftfahrtmuseum haben wir dann ein neues Format erprobt. Der vor allem auch in Deutschland bekannte Schriftsteller Erik Fosnes Hansen befragte Kraggerud, seinen Freund aus Kindheitstagen, in der Manier eines fiktiven Detektivs, der auch die turbulente Familiengeschichte von Kraggerud untersucht. Der Violonist spielte dazu Stücke, die ihn von klein auf geprägt haben, und so entstand ein Künstlerporträt der besonderen Art.

Schriftsteller Erik Fosnes Hansen und Henning Kraggerud im Gesprächskonzert

Schriftsteller Erik Fosnes Hansen und Henning Kraggerud im Gesprächskonzert

Welche Rolle spielt die Kammermusik bei Ihrem Festival?
Wir präsentierten dieses Jahr drei Kammermusikensembles. Neben der ‘Britten Sinfonia’ ist das die ‘Capella Gabetta’, die hier ihr Debüt in Norwegen gab sowie das französische Ensemble ‘L’Arpeggiata’, das bereits 2011 bei uns zu Gast war und damals wiederum seine Norwegen-Premiere feierte. Diese Internationalität ist mir sehr wichtig, um dem Publikum einige der besten Musiker aus Europa präsentieren zu können.

Das bekannteste und älteste Festival in Norwegen dürfte dasjenige in Bergen sein. Welchen Stellenwert haben da Ihre Musikfestspiele?
Das ‘Nordland Music Festival’ kann man nicht mit Bergen vergleichen, auch andere Festivals hierzulande können sich allein schon von der Größe her damit nicht messen. Aber unser kleines, feines Festival hier in Bodo ist durchaus in Norwegen sehr bekannt, und alle Musiker – ob aus der Klassik oder dem Jazz kommend – wissen darum.

Andreas Höll und Festival Direktor André W. Larsen (r.)

Andreas Höll und Festival Direktor André W. Larsen (r.)

Norwegen ist in den letzten Jahren sehr bekannt geworden durch seine herausragenden Musiker, mögen sie aus dem Bereich des Jazz, der Klassik, des Pop oder des Rock kommen. Wie erklären Sie sich diesen immensen Erfolg?
Die Musikhochschulen und Konservatorien spielen dabei sicherlich eine wichtige Rolle. Der zweite Aspekt ist sicherlich, dass die Musiker sehr offen sind für die verschiedensten Genres und durchaus keine Berührungsängste haben, sich in einer anderen musikalischen Gattung zu erproben. Ja, und der norwegische Jazz zum Beispiel, dessen Erfolg begann mit Musikern wie Jan Gabarek in den 1970er Jahren. Und vor allem das deutsche Label ECM war in den letzten Jahrzehnten da eine entscheidende Kraft, um diese Musik weltweit bekannt zu machen. Nicht zuletzt dank der Produktionen von Manfred Eicher, die dieser in dem mittlerweile legendären Rainbow Studios in Oslo aufgenommen hat. Und auch die ECM New Series haben ungemein zur Sicht- und Hörbarkeit von zeitgenössischen Komponisten aus Norwegen beigetragen.

Was sind Ihre Pläne für das nächste Festival anno 2015?
Das ist noch zu früh, um etwas darüber zu sagen. Aber eines ist sicher: Nächstes Jahr wird hier in Bodo – direkt am Hafen – die neue Konzerthalle eröffnet. Und das gibt uns dann die Gelegenheit, interessante Konzerte für diese fantastische Halle zu konzipieren, und dafür werden wir dann auch internationale Sinfonieorchester einladen, um diesen neuen Ort zu bespielen.

Wie kann man dieses Gefühl beschreiben, in einem Land zu leben, in dem – weit entfernt von den europäischen Wirtschaftskrisen – problemlos neue Musentempel gebaut werden können?
Es ist uns sehr bewusst, dass wir schon sehr privilegiert sind in Europa. In Norwegen wurden in den letzten Jahren viele Konzerthallen gebaut und die politischen Rahmenbedingungen für die Förderung des Musiklebens waren wirklich sehr gut. Und das hängt natürlich damit zusammen, dass Norwegen nicht von der Finanzkrise nicht so tangiert wurde wie der Rest von Europa. Nicht zuletzt wegen unseres Erdöls in der Nordsee, und dieser Reichtum fließt nun auch in unsere Musik.

 Die 'Bodo Concert Hall', die nächstes Jahr eröffnet wird, im Modell © DRDH Architects / Forbes Massie

Die ‘Bodo Concert Hall’, die nächstes Jahr eröffnet wird, im Modell
© DRDH Architects / Forbes Massie

 

 

 

 

  • Pizzicato

  • Archives