Die eindringliche Stimme von Véronique Nosbaum und der farbenreichen Klavierpart seitens ihres Bruders Romain Nosbaum sind auf Albena Petrovics neuer CD The Voyager so unmittelbar aufeinander bezogen wie in einem intensiven Kammerspiel auf einer imaginären Theaterbühne. Egal ob Paul Verlaines impressionistische Lyrik oder auch mal eine persische Liebespoesie den Ausgangspunkt bildet – verblüffend gehen die Worte eine Symbiose mit Albena Petrovics komprimierter Klangsprache ein. Auch ihre im Jahr 2015 uraufgeführte Oper The Dark kommt - ins kammermusikalische Format übersetzt – mehrfach ins Spiel. Eine zentrale Figur ist die antike Eurydike, die im Königreich der Schatten lebt. Diese Frauenfigur aus der Antike ist eine Entwurzelte, eine Reisende. Das passt auch auf Albena Petrovic, eine tief blickende Komponistin, welche ihre bulgarische Heimat verließ, heute in Luxemburg eine neue Wahlheimat gefunden hat und deren musikalisches Schaffen immer wieder weitgespannte Reflexionsprozesse wiederspiegelt. An diesen ließ sie im Gespräch mit Stefan Pieper aufschlussreich teilhaben.

Albena Petrovic
(c) Stefan Pieper

Erzählen Sie mir etwas über die Historie dieses Projekts!
Ich freue mich, dass ich in den letzten fünf Jahren so viel Gelegenheit hatte, mich in vielen musikalischen Formen auszudrücken. Ich habe Lieder und Kammermusik komponiert – und last but not least sind vier Kammeropern entstanden. Jetzt wünsche ich mir, dass dieses ganze Schaffen noch mehr publik wird – vor allem beim internationalen Publikum. Nicht zuletzt deswegen habe ich mich entschieden, jetzt eine CD heraus zu bringen, die thematisch all dies umfasst. (Hier geht es zur zur Pizzicato-Rezension)

Was für verschiedene Aspekte Ihres Schaffens kommen hier zusammen?
Mir sind aussagekräftige melodische Verläufe wichtig, die einen tieferen Sinn zum Ausdruck bringen. Ich übertrage gewissermaßen ein romantisches Verfahren in die Gegenwart, um menschliche Emotionen unmittelbar abzubilden. Manchmal kommt eine moderne Variante des Kunstliedes heraus – zum Beispiel im ersten Stück auf der CD mit dem Titel Das Piano nach Texten von Paul Verlaine oder in den folgenden Stücken Illusions und Silence. Noch zugespitzter lebt dieser Aspekt in den 11 Miniaturen ‘Love Songs’. Sie sind extrem minimalistisch aber trotzdem sehr farbenreich und auch etwas exotisch. Vor allem transportieren sie eine Melodie, vielleicht nicht im klassisch-althergebrachten Sinne, sondern ganz aus dem musikalischen Heute heraus. Eine zentrale Stellung nehmen drei Stücke aus meiner Oper The Dark ein. Sie sind Arien in einem modernen Sinne – und auch hier gehen die Textbotschaften und die komponierte Musik eine enge Symbiose miteinander ein.

Sie haben das neue Album nach einem zentralen Stück aus der Oper The Dark betitelt. Welche persönliche Seite von Ihnen widerspiegelt dies?
Die verbindende Idee ist das Motiv des Reisens – deswegen der Titel Voyager! Aber es geht nicht einfach um eine Urlaubsreise, sondern eher um das Reisen in einem globaleren Sinne. Damit wird das Ganze zu einem persönlichen Lebensthema! Reisen ist gewissermaßen ein Exodus. Ich selber habe dies in jungem Alter erlebt. Man könnte es vielleicht mit der Generation vergleichen, welche vom Fall der Berliner Mauer unmittelbar betroffen gewesen ist. Viele junge Menschen verließen den Osten Deutschlands und kamen nie wieder zurück. So geht es mir ja auch, wie ich Bulgarien verließ und in Luxemburg meine neue Heimat fand. Die Texte meiner neuen Kompositionen widerspiegeln viele der damit verbundenen Emotionen.

Welche Qualitäten schätzen Sie an der Kombination des Pianisten Romain Nosbaum mit der  Sängerin Véronique Nosbaum?
Die beiden sind das perfekte Duo für meine Musik. Romain realisiert wie kaum sonst jemand einen reichen Pianoton mit großer Tiefe. Véronique Nosbaum gehört zur raren Spezies von intellektuellen Gesangsinterpretinnen mit einem extremen Gespür für die Herausforderungen zeitgenössischer Musik. Das wirklich Große, was auf dieser Aufnahme hervor tritt, ist aber die Kombination dieser beiden Menschen: Romain und Véronique Nosbaum eint eine instinktive, fast telepatische Kommunikation. Dies gibt meiner Musik die Aura eines intimen, tief persönlichen Dialogs, der über eine vordergründig szenische Präsentation weit hinausgeht!

Würden Sie sagen, es gibt eine bestimmte Rollenverteilung bzw. Hierarchie zwischen der weiblichen Gesangsstimme und dem Instrument?
Die menschliche Stimme ist mein Lieblingsinstrument. Selbst, wenn ich für andere Instrumente schreibe, dann ist mir ein vokaler Zugang eigen, also behandele ich die Instrumente wie Gesangsstimmen. Die weibliche Stimme ist darüber hinaus extrem universell einsetzbar, sie funktioniert in allen instrumentalen Besetzungen sehr gut. Die Stimme und das Instrument, also das Piano sind in einer permanenten Kollaboration – nur ihr intensives Zusammenwirken erzeugt die richtige Atmosphäre.

Ihre Musik hat einen starken Wiedererkennungsfaktor. Was ist das Geheimnis Ihrer kompositorischen Sprache?
Mein Kompositionsstil ist sehr eng wie eine Muttersprache mit meiner Persönlichkeit verwachsen – zugleich ist er das Resultat eines intensiven ästhetischen Suchprozesses gepaart mit intensiver Klangforschung. Es kommt mir dabei überhaupt nicht auf artifizielle Kompliziertheit an. Viel wichtiger ist mir die Entdeckung ungeahnter, expressiver und klanglicher Herausforderungen. In dieser Hinsicht favorisiere ich eine neue Einfachheit gegenüber der Komplexität, die der musikalischen Gegenwart ja auch oft anhaftet.

Was für zentrale Elemente kommen bevorzugt zum Einsatz?
Ziel ist der intensive Spannungsbogen. Dafür arbeite ich gerne mit Kontrastwirkungen bei Tempo und Dynamik, um den Fokus auf die feinsten Nuancen und Seelenregungen zu lenken und daraus wieder eine logische, gerne auch bewusst akribische Textur zu erzeugen.

Bleiben hier für den Interpreten Gestaltungsräume übrig?
Auf jeden Fall. Die Freiheit der Interpretin, des Interpreten soll Priorität bleiben. Mein wichtigstes Anliegen ist eine Art von Open Work, wo jeder die eigene Identität einbringen und wieder finden kann.

Welcher Umgang mit Zeitmaßen ist Ihnen beim Komponieren wichtig?
Ich nutze sehr gerne einen experimentellen Umgang mit Zeitmaßen. Jedes Stück braucht seine eigene Bewegung. Nur dadurch ist kein Stück wie das andere und bekommt sein eigenes Leben und einen unverwechselbaren Charakter.

Lassen Sie uns nochmal über die Ideenwelt Ihrer Stücke sprechen. Mit der Figur der Eurydike kommt ja wieder eine starke Frauengestalt aus der antiken Sagenwelt ins Spiel. Gibt es eine Botschaft für die heutige Lebenswelt?
Für mich markiert die Figur der Eurydike eine Schnittstelle zwischen der Frau in der Antike und in heutiger Zeit. Eurydike ist gemäß der antiken Sage eine Entwurzelte. Sie ist in der antiken Unterwelt auf sich allein gestellt, ebenso wie sie in den urbanen Welten des 21. Jahrhunderts oft auf sich alleine zurück geworfen ist: Voller Einsamkeit, auf gewisse Weise hilflos, wartend auf jemand der nicht kommt. Egal ob es der antike Orpheus ist oder der Godot im Samuel Becketschen Sinne. Sie wartet und er kommt nicht. Sie will mit ihm reden und wird nicht erhört. Wir wissen nicht, ob diese Figur überhaupt existiert. Ist unsere Liebe oder Sehnsucht nur eine Einbildung? Orpheus ist eine Fiktion für alle Eurydike-Figuren in allen Zeitepochen.

Liege ich richtig, wenn ich bei Ihnen von einer riesigen Leidenschaft fürs Lesen und Entdecken von Literatur ausgehen darf?
Meine allerliebsten Freunde sind die Poesie und die Literatur. Ein Buch oder auch ein guter Film, das ist wie meine tägliche Nahrung. Ich kann mir ein Leben ohne dies überhaupt nicht vorstellen. Die Inspirationen aus der Literatur kommen immer ganz ungeplant – nicht nur, wenn ich sie gerade brauche. Ich habe ganz viele Ideen, Inspirationsquellen und auch Figuren im Kopf. Ich ziehe sie zu etwas heran, wenn der richtige Moment dafür gekommen ist. Mit der Figur der Eurydike verhielt es sich idealtypisch: Ich trug sie schon jahrelang in mir umher – bis endlich die Gelegenheit kam, sie als Hauptidee für eine Oper zu verwenden.

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