Alban Gerhardt
©Neda-Navaee

Alban Gerhardt, in Ihrem Konzert mit den Solistes Européens Luxembourg unter Christoph König spielen Sie das Cellokonzert von Robert Schumann. Welchen Platz nimmt dieses Konzert unter den großen Cellokonzerten des 19. Jahrhunderts ein?
Eigentlich ist das Cellokonzert von Schumann das erste wirklich große Werk dieser Gattung, wenn es auch vorher bereits die Konzerte von Haydn und Saint-Saëns gegeben hat. Ihm folgt im 19. Jahrhundert eigentlich nur noch das Konzert von Dvorak. Leider ist es so, dass gerade Dvoraks melodiöses und doch sehr virtuoses Konzert jenes von Schumann in den Schatten stellt. Schumanns Werk ist sehr heikel und für den Solisten auch viel schwieriger zu spielen, als das Konzert von Dvorak, das deutlich einfacher gestrickt ist. Im Gegensatz zu Dvoraks extrovertiertem Melodienreichtum wirkt das Schumann-Konzert geradezu verhalten und von der Textur her sehr zerbrechlich. Es ist ein sehr klassisches Konzert, bei dem man sich wirklich am Text orientieren muss und eigentlich sehr wenig Raum zur Eigengestaltung bekommt. Als Solist kann man sich damit überhaupt nicht in Szene setzen.

Der Widmungsträger Emil Bockemühl weigerte sich, das Stück zu spielen, weil es zu wenig melodiös sei. Das Konzert wurde dann erst einige Jahre nach Schumanns Tod uraufgeführt und fand erst recht spät den Weg ins Repertoire. Das Stück wurde sogar als Ausdruck von Schumanns geistiger Verwirrtheit beschrieben. Wie erklären sie sich die Schwierigkeiten, die Schumanns Cellokonzert hatte?
Vielleicht war der Komponist einfach seiner Zeit voraus. Ich kann jedenfalls Herrn Bockemühl nicht zustimmen. Für mich ist das Schumann-Konzert ein unwahrscheinlich reiches, anspruchsvolles Stück und eine wirkliche Herausforderung für den Solisten. Man muss hier viel länger proben als beispielsweise beim Dvorak-Konzert. Zudem ist der Lohn eher gering. Als Solist bekommt man meistens nur einen freundlichen Applaus, weil dieses Konzert das Publikum eben nicht mitreißt. Aber beim genauen Hinhören kann man wunderbare Melodien und Passagen entdecken, man erlebt eine Musik, die tief berührend und sehr expressiv ist. Nur, man muss sich sowohl als Solist wie auch als Zuhörer darauf einlassen.

Schumann betitelt sein Werk als Konzertstück. Weißt er damit nicht schon darauf hin, dass sein Werk kein Cellokonzert im eigenen Sinne ist?
Eigentlich hatte das Cellokonzert von Schumann keine direkten Vorläufer. Somit ist es schwer zu sagen, warum Schumann gerade diese durchgehende Form gewählt hat. Aber innerhalb des Werkes gibt es schon drei Sätze, die allerdings fließend ineinander übergehen. Es mag aber auch an der Komposition selber gelegen haben. Sie ist sehr streng und durchdacht und innerhalb der Musik besteht eine extrem enge Verzahnung der Melodien und Motiven, so dass dies wohl die logischste Weise war, das Werk natürlich und bruchlos zu entwickeln. Und wenn man es sich anhört, dann spürt man auch, dass Satzpausen hier gestört hätten.

Alban Gerhardt (c) Sim Canetty-Clarke / Hyperion

Alban Gerhardt
(c) Sim Canetty-Clarke / Hyperion

Bei Schumann ist man ja heute sehr oft an große Symphonieorchester gewohnt. Die Arbeit im klassisch besetzten Orchester ist zwar nicht so spektakulär, hat aber sicherlich andere Vorteile.
Ich denke, alle Orchesterwerke Schumanns sind eigentlich Kammermusik für große Ensembles. Wobei man sich allerdings an der Größe der damaligen Ensembles orientieren muss. Natürlich können die vollbesetzten Symphonieorchester von heute Schumanns Musik spektakulär in Szene setzen. Aber ist das richtig? Ich finde, bei diesen Klangspektakeln geht so viel von der Substanz verloren, von den Feinheiten, von der Transparenz des Orchestersatzes, von den vielen kammermusikalischen Dialogen. Und für uns Solisten ist es viel angenehmer, mit einem klassisch besetzten Orchester wie eben den ‘Solistes Européens Luxembourg’ zu musizieren als mit der Hundertschaft eines Symphonieorchesters, die den Solisten gerne erschlagen. Und ein klassisches Orchester hat darüber hinaus den Vorteil, dass es wendiger ist und, dass man die Strenge und Klarheit, die Schumann bei seinem Cellokonzert verlangt, viel besser darstellen kann.

Wie wichtig sind denn musikalische Perfektion und Risikobereitschaft für Sie?
Es hängt von den Werken ab. Für mich ich es einfacher, die Perfektion beim Dvorak-Konzert zu erreichen als beim Schumann-Konzert. Perfektion hat etwas mit der eigenen Zufriedenheit zu tun und nicht mit unbedingt mit einem makellosen Spiel. Das ist doch langweilig, vorhersehbar! Nein, als Musiker muss ich schon etwas wagen, allerdings muss dieses Risiko immer in einem gerechtfertigten Bezug zum Werk stehen. Früher habe ich anders gedacht, da war mir technische Perfektion wichtiger. Ich erinnere mich, vor einigen Jahren ein Konzert mit einem nicht sonderlich guten Orchester gespielt zu haben. Doch nach der Pause stand eine Brahms-Symphonie auf dem Programm und der Dirigent und sein Orchester erreichten hier trotz aller spieltechnischer Mängel eine Tiefe und Größe, wie ich sie selten erlebt habe. Gerade diese Hingabe war es, die letztendlich über alle spielerischen Mängel siegte und den Abend für mich zu einem unvergesslichen Erlebnis werden ließ. Seither weiß ich, dass die Botschaft, das Wesen der Musik nicht im spieltechnischen Knowhow liegt. (lacht) Was aber wiederum nicht heißen will, dass man schlecht spielen soll.

Sie spielen nun schon seit über 25 Jahren auf internationalen Bühnen. Welche Bilanz ziehen Sie? Was hat sich verändert? Was waren die Höhepunkte?
Der wichtigste Höhepunkt meiner Karriere ist, dass ich mich heute nach 25 Jahren Bühnenerfahrung wohler denn je fühle und jeden Tag mehr Lust verspüre, weiter Musik zu machen. Und dass ich das Glück habe, nicht nur die großen Meisterwerke zu spielen, sondern auch zeitgenössische Werke, für die ich die gleiche Begeisterung empfinden kann. Ich habe vor kurzen Unsuk Chins Konzert für Violoncello und Orchester gespielt und aufgenommen. Für mich ist dies ein wahnsinniges Werk. Und Chin eine der besten Komponisten der Gegenwart. Und ich verbinde diese Aufführung ihres Cellokonzertes mit einem besonders schönen Erlebnis. In Amerika, wo ich die amerikanische Erstaufführung mit dem ‘Boston Symphony Orchestra’ spielte, gaben wir ein Gratiskonzert für sozial schwache Menschen und Minderbemittelte. Nach dem Konzert kam eine sehr ergriffene Frau  auf mich zu und bedankte sich bei mir für dieses Cellokonzert von Chin, was sie sehr, sehr tief berührt hatte. Und das beweist auch wieder einmal, dass selbst komplexe zeitgenössische Musik berühren kann und kein besonderes Wissen vorrausetzt.

  • Pizzicato

  • Archives