Andris Nelsons
(c) Marco Borggreve

Das Konzert vom 15. November in der Philharmonie versprach in mehrfacher Hinsicht spannend zu werden. Und das war es auch. Sowohl aufgrund des Programms mit kontrastreichen Werken als auch aufgrund der Qualität des Spiels der Interpreten, die ihr Versprechen einlösten und ihrem Ruf gerecht wurden. José Voss berichtet.

Als der Pianist Alfred Brendel in den 1970er Jahren gefragt wurde, wer der am meisten unterschätzte Komponist der Musikgeschichte sei, war seine Antwort eindeutig: Joseph Haydn. Er fügte hinzu, dass er « einer der spannendsten Abenteurer und Entdecker » sei. Eine Aussage, die dem Idealbild des ‘guten alten Haydn’ einen herben Dämpfer versetzt!

Als Vorspeise präsentierten Andris Nelsons und das ehrwürdige und unvergleichliche Gewandhausorchester Leipzig die Symphonie Nr. 22 des besagten Haydn. Die Symphonie trägt den Beinamen ‘Der Philosoph’ – eine apokryphe Bezeichnung, die auf den sehr ernsten Charakter des ersten Adagios verweist, das auf einem feierlichen Choral basiert, der von den Hörnern intoniert wird.

An der Spitze eines reduzierten Ensembles (entsprechend dem, über das der Komponist in Eisenstadt verfügte) schaffte der aus Riga stammende Dirigent ein fragiles Gleichgewicht zwischen Bläsern und Streichern und bewahrte die Transparenz der harmonischen Ebenen, während die Virtuosität jedes einzelnen Instrumentalisten den Rest erledigte, indem sie die Klarheit der Linien und die Feinheit der Akzente unterstrich.

Als erster ‘Hauptgang’ folgt Mendelssohns erstes Konzert für Klavier und Orchester, eine Partitur, von der manche sagten, sie sei ein Werk purer Virtuosität, geschrieben von einem Pianisten für einen Pianisten. « Viele Noten, sehr wenig Musik », hieß es sogar nach der Uraufführung durch den Komponisten am 17. September 1831 in München. Es bedurfte der ganzen rettenden Energie, des ganzen feurigen Elans, der ganzen männlichen Schärfe und schließlich der ganzen phänomenalen Redseligkeit des südkoreanischen Pianisten Seong Jin-Cho, Gewinner des legendären Chopin-Wettbewerbs 2015, um diesen scharfen, weitgehend ungerechtfertigten Kritiken eine schneidende Widerlegung entgegenzusetzen. Es überrascht daher nicht, dass die bewegende Zugabe, die er spielte, von Chopin stammte.

Das Orchester, das ihn brillant unterstützte, stand ihm in nichts nach. Angetrieben von seinem erfahrenen lettischen Chef beeindruckte es mit seinem kraftvollen Klang und seiner Vielfalt an Klangfarben.

Bei all dem Lob für den Solisten aus Fernost könnte man fast die 3. Symphonie von Brahms vergessen, den Höhepunkt eines besonders emotionsreichen Konzerts. Emotionen? Ja. Denn für den Maestro aus dem Osten, der Wissen, Energie und eine starke innere Welt auf höchstem Niveau vereint, darf die Technik niemals Vorrang vor den Emotionen haben. Beides muss zu einem homogenen Ganzen verschmelzen, wie es übrigens die sehr überzeugende Körpersprache des Vierzigjährigen am Pult seines Orchesters verdeutlichte, der so sehr darauf achtete und es schaffte, Form und Inhalt, Architektur und Ausdruck in Einklang zu bringen.

In dieser herausfordernden Symphonie war Andris Nelsons nicht der Typ, der den Boden unter den Füßen verlor. Ganz im Gegenteil. Man war regelrecht überwältigt von seiner Kenntnis des Orchesters. Talentierte Autorität, gebieterische Gestik, unbändige Kraft: Kurz gesagt, der Maestro beeindruckte. Und als Sahnehäubchen war die Begeisterung in seinem Gesicht zu lesen, ebenso wie in den Gesichtern seiner Musiker, die alle, unabhängig von ihrer Instrumentengruppe, ein Engagement an den Tag legten, das Respekt einflößte und den tosenden Applaus nach einem Moment der Stille, hervorrief.

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