Das Ensemble BachWerkVokal besteht nun seit 10 Jahren. Wie kam es zur Gründung?
Ich kam nach Salzburg und habe die Stadt mit ihren vielschichtigen kulturellen Vibes sehr schnell und intensiv wahrgenommen. Mir kam die Idee, ein Ensemble mit Bach als künstlerischem Bezugspunkt zu gründen. In Salzburg lernt man sehr schnell sehr viele gute Musikerinnen und Musiker kennen – die Stadt ist nicht groß, aber gleichzeitig sehr international. Kurzum: Das Ensemble BachWerkVokal war geboren. Nachgedacht habe ich damals überhaupt nicht, was ich da anstoße – und das war gut so. Es wurde gleich eine ganze Saison geplant, realisiert, und es war ein Senkrechtstart.
Was gab es an Höhepunkten?
Da sammelt sich in 10 Jahren so einiges an. Da waren gleich im ersten Jahr nach der Gründung Gastauftritte mit Bachs Weihnachtsoratorium und Händels Messiah im Herkulessaal in München. Dann natürlich unser CD-Debüt mit Cantate Domino, was enorm viel Anstrengung gekostet hat und sofort für alle großen internationalen Klassikpreise nominiert wurde. Das Gastkonzert in der tiefsten Corona-Krisenzeit, nach Monaten ohne Livemusik, in der Thomaskirche Leipzig werden ich und die Ensemblemitglieder niemals vergessen. Die Aufmerksamkeit, die uns die weiteren Veröffentlichungen Jesu, meine Freude und Genug bescherten, weckte großes internationales Interesse am Ensemble BachWerkVokal. Diese ersten Saisons mit so vielen Festivaldebüts und den ganzen abenteuerlichen Situationen, die man erlebt, wenn man auf Tour ist, sind Höhepunkte. In den Bachstädten Eisenach, Arnstadt und Leipzig zu spielen, ist etwas ganz Besonderes. Dann natürlich unsere CD-Aufnahme Jauchzet & Lobet 2023 in der Thomaskirche Leipzig. Herausragende Festivals wie Thüringer Bachwochen, Südtirol Festival Meran, Bachfest Leipzig, Telemann-Tage Magdeburg, Kempen Klassik etc. – und natürlich ganz wichtig unser Debüt bei der Mozartwoche Salzburg 2025. Für die aktuelle Saison hat uns Rolando Villazón zum Featured Artist gewählt.

BachWerkVokal
(c) Wolfgang Lienbacher
Wie sieht Ihr Repertoire aus? Der Name BachWerkVokal bedeutet ja, wie man sieht, keine Begrenzung.
Ich habe Bach immer als den zentralen künstlerischen Bezugspunkt definiert und davon gehe ich nicht ab. Das bedeutet aber keine ausschließliche Beschäftigung im Sinne von: « Ensemble BachWerkVokal spielt nur Bach.“ Bach selbst wurde durch das Schaffen vieler Komponisten vor ihm inspiriert, hat Ideen und musikalische Bezüge aufgegriffen und weiterentwickelt. Nach Bachs Tod nehmen Komponisten wie auch Komponistinnen bis auf den heutigen Tag immer wieder Bezug auf sein Schaffen. Dies macht es möglich, überzeugende und packende Programme zu entwickeln, die vom 16. bis ins 21. Jahrhundert reichen. Um es auf den Punkt zu bringen: Ich schaue von Bachs Schaffen aus in alle Richtungen und entdecke immer neue spannende Bezüglichkeiten, die mich kreativ werden lassen. Deshalb ist dieser musikalische Ausflug in das barocke Barcelona – Valls’ Wirkungsstätte – auch ganz bewusst geschehen. Wenn ich auf einer Wanderung einen Schatz entdecke, dann habe ich zwei Möglichkeiten: Ich kann ihn entweder im Versteck liegen lassen oder ihn heben, daran Freude haben und ihn mit anderen teilen. Ich würde mich immer wieder für den zweiten Ansatz entscheiden, auch wenn ich vielleicht vorher ganz andere Ideen im Kopf hatte.
Wie kam es zu dem Album mit Werken von Francesc Valls?
Ja, das war im Grunde ein Zufall im wahrsten Sinne des Wortes. Bei einer Recherche zu Vertonungen eines Textes fiel mir der Name Valls auf, den ich nicht kannte. Mit seinen Lebensdaten (1671–1747) war er für mich als Bach-Zeitgenosse sofort interessant. Ich besorgte mir die Noten und dachte im ersten Augenblick, ich hätte es mit einer sehr fehlerhaften Abschrift zu tun, aber ganz schnell wurde mir klar, dass das sensationelle Musik ist, die vollkommen eigentümliche Wege beschreitet und die quasi niemand kennt. Ungefähr so muss es sein, wenn man einen Sechser im Lotto hat. Ich erinnere mich noch an die allererste Probe der Motette Plorans ploravit mit dem Ensemble. Diese positiv schockierten Gesichter! Dann ging es natürlich Schlag auf Schlag, und ich suchte akribisch nach weiterer Literatur. Dann war es die Sammlung Mapa Armónico Práctico, die Valls 1742 veröffentlichte, die mein besonderes Interesse weckte. Das Mapa ist als Faksimile erhältlich, und damit war diese spannende Musik zugänglich. Was diese Sammlung so besonders macht, ist Folgendes: Valls führt anhand von Beispielstücken vor, wie man ganz konkrete Gefühlszustände – im Barock nannte man diese Affekte – komponiert. Dafür braucht er manchmal nur wenige Takte, um beispielsweise „ein verlorenes Schaf“ zu beschreiben, das sich verirrt hat. Er komponiert in unglaublicher Sinnlichkeit und Sensibilität das Gefühl der Liebe, des Schmerzes, des Zorns usw. Hier wendet er alles an, was seine katalanisch-spanische Tradition ihm bietet, und er offenbart sich gleichzeitig als Europäer, wenn er im Mapa fordert, dass man die Stärken der französischen, italienischen und deutsch-österreichischen Tonkunst kennen und wertschätzen müsse. Valls zeigt in jedem Stück seine kompositorische Extraklasse, indem er mühelos acht Stimmen im stile antico obligat bewegt, mehrchörige Anlagen schafft oder hochkomplexe Kanonkonstruktionen erdenkt. Dann ist er ein Grenzgänger, der von Streichinstrumenten bei chromatischen Bewegungen die konsequente Verwendung von Vierteltönen fordert. Wenn man das nicht wüsste, könnte man glauben, man hört Musik des 20. oder 21. Jahrhunderts. Und natürlich brechen immer wieder das feurige Temperament und das spanische Kolorit in der Musik von Valls durch. Das reißt einfach mit.
Wie sieht die Quellenlage bei diesem Komponisten aus?
Im Austausch mit spanischen Musikwissenschaftlern wurde mir schnell klar, dass offenbar immer noch größere Teile von Valls’ Œuvre in den Archiven schlummern. An dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Prof. Mariano Lambea bedanken, der mir kostenfrei handschriftlich transkribiertes Notenmaterial für die Aufnahme zur Verfügung stellte. Bei meiner Recherche hat mich dankenswerterweise Prof. David Mesquita aus Basel sehr unterstützt. Er ist ein absoluter Fachmann für Barockmusik aus Spanien und Katalonien und ein ganz wunderbarer Kollege, dem es ein Herzensanliegen ist, dass diese Musik wiederentdeckt und zur Aufführung gebracht wird. Von einer wissenschaftlich betreuten Gesamtausgabe ist man im Falle von Valls aber noch weit entfernt.

Gordon Safari
(c) Andrej Grilc
Was für Herausforderungen gab es bei diesem Projekt?
Nicht für jedes Stück war es einfach, an Notenmaterial zu kommen. Das bedeutet, dass man nächtelang Datenbanken durchforstet, die Partituren sichtet und durchspielt. In meiner Vorauswahl waren zu Beginn ca. 80 Werke. Auf einer CD ist aber nur begrenzt Platz. D. h. man beginnt einen Sondierungsprozess, der ein möglichst vielschichtiges und farbenreiches Bild vom Schaffen unseres bislang weitgehend unbekannten Francesc Valls zum Ergebnis haben muss. Dann musste ich mich mit der besonderen Continuo-Praxis, die in Spanien gepflegt wurde, eingehend beschäftigen. In Spanien wird in der Continuo-Besetzung immer die Harfe verlangt – ein Instrument, das im Hochbarock im deutschen Sprachraum nur in Ausnahmefällen anzutreffen ist. Bei mehrchörigen Kompositionen wird dann in zwei Continuo-Gruppen aufgeteilt, wobei die Harfe immer dem Coro primo, also dem Kapellchor, zugeordnet ist. Dann kommen die Fragen nach der Stimmtonhöhe, Temperatur etc. ins Spiel, für die man Lösungen finden muss. Das ist ein spannender Prozess.
An welchen Projekten bzw. Veröffentlichungen arbeiten Sie und Ihr Ensemble gerade?
Wir arbeiten an sehr vielen Projekten, denn die Zahl an Auftritten ist sehr hoch und steigt stetig. Das bedeutet für mich, in der Programm- und Projektplanung immer weit im Voraus zu denken und zu arbeiten und gleichzeitig die aktuellen Projekte mit all ihren Herausforderungen, unterschiedlichem Repertoire und Besetzungen gut im Blick zu behalten. In meinem Kopf entstehen ständig neue Ideen, u. a. auch für neue CD-Aufnahmen und Videoproduktionen – aktuell sind es mindestens drei. Es ist immer besser, mehr Ideen als zu wenige zu haben, finde ich. Aber jetzt darf sich die Klassikwelt erst einmal über unseren Ausflug nach Katalonien und die Überraschungen von Francesc Valls auf unserer neuen CD freuen, bevor ich über die nächsten Projekte plaudere. Es muss doch auch spannend bleiben, was vom Ensemble BachWerkVokal in Zukunft noch so alles zu hören und zu sehen sein wird.



















