Opernhaus Chemnitz
(c) Nasser Hashemi

Das sächsische Chemnitz punktet jetzt als europäische Kulturhauptstadt des Jahres 2025 mit der Uraufführung einer Oper, ‘Rummelplatz’des Komponisten Ludger Vollmer nach dem Romanfragment von Werner Bräunig. Michael Oehme berichtet.

Werner Bräunigs 600-seitiges Romanfragment beleuchtet ein dunkles, heute kaum mehr bekanntes Kapitel der deutschen, ja der DDR-Nachkriegsgeschichte, das Wirken der Wismut-AG, bei der tausende Arbeiter aus allen Schichten und Milieus von den sowjetischen Besatzern für den Uranabbau in Sachsen und Thüringen rekrutiert, ausgebeutet und gesundheitlich geschädigt wurden, um das notwendige radioaktive Material für die russische Atomindustrie zu liefern. Noch heute künden in Mitteldeutschland riesige Halden von dem umwelt- und gesundheitsschädlichen Raubbau an der Natur. Die Bergarbeiter wurden zwar gut bezahlt und erhielten reichlich Schnaps als Deputat, den so genannten ‘Kumpeltod’. Als Ventil blieb ihnen allein der ‘Rummelplatz’, auf dem gesoffen, getanzt, geliebt und auch manchmal geprügelt wurde. Aber auch da nahm die Staatsmacht Einfluss und reglementierte mit bestimmten Verboten die Verhaltensweisen.

Das alles schildert Werner Bräunig in seinem zwischen 1959 und 1966 entstandenen und dann nicht vollendeten Roman. Nach einem kurzen Vorabdruck in der Zeitschrift Neue deutsche Literatur wurde er in der DDR verboten und erst 2007 im Aufbau Verlag Berlin der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Ein harter Stoff also, der im Vorfeld der Chemnitzer Uraufführung bei vielen noch Lebenden Erinnerungen wachgerufen hat. Jenny Erpenbeck als Librettistin und Ludger Vollmer haben ihn völlig eins zu eins in eine Oper verwandelt.

Ludger Vollmers Musiksprache kennzeichnet sich durch Einfachheit, Melodik in den lyrischen Momenten und Expressivität in den zugespitzten Situationen der Handlung. Selten habe ich in der letzten Zeit ein so realistisches Musiktheater ohne jegliche ästhetische Spielereien auf einer Bühne erlebt und als gut befunden. Es ist wichtig, der Nachwelt die Propagandamethoden dieser Zeit und auch den Demonstrationsmut und -willen der Menschen (das Stück endet mit dem Volksaufstand am 17. Juni 1953) zu zeigen. Dabei gelingen in der Inszenierung von Frank Hilbrich, der Choreografie von Illia Bukharov und mit den fantastischen Kostümen von Gabriele Rupprecht die Volksszenen besonders beeindruckend.

Beklemmend natürlich das Bild mit dem Grubenbrand (Bühne: Volker Thiele), bei dem nur wenige Kumpel gerettet werden konnten und wir Zuschauer fassungslos in die Pause entlassen wurden.

Weniger deutlich gelangen bzw. zu wenig präsent waren in Vollmers und Erpenbecks Opus die persönlichen menschlichen Schicksalslinien, zum Beispiel zwischen Peter Loose und der Kellnerin Ingrid sowie der die Handlung prägenden Ruth. Am überzeugendsten kristallisiert sich da die Rolle des Christian Kleinschmidt heraus, der sich als Intellektueller in die harte Welt der Bergleute einfügen will und dann doch die DDR verlassen und eine Professur in Boston antreten wird.

Ludger Vollmer hat diese Partie einem Countertenor anvertraut, was die Zerbrechlichkeit und Zerrissenheit seines Charakters noch unterstreicht. Gesungen wurde sie von Etienne Walch hervorragend, deutlich in der Artikulation und Stimmkraft, wie auch die anderen Rollen, die großen wie die kleineren, in Chemnitz bestens besetzt sind: Thomas Essl (Peter Loose) als glänzender Bariton, Marlen Biber als Ingrid, Menna Cazel als berührende, sehr feinsinnig singende Ruth und Jaco Venter als Hermann Fischer.

Herausragend wie schon angedeutet Opern, Kinder- und Jugendchor der Theater Chemnitz (Einstudierung: Stefan Bilz), spielfreudig sowieso und äußerst prägnant, präzise und dem Thema angemessen stimmgewaltig.

Bleibt noch die musikalische Leitung von Benjamin Reiners, dem neuen Generalmusikdirektor in Chemnitz (Jahrgang 1983). Mit seinem souveränen Dirigat, der perfekten Übereinstimmung zwischen Orchestergraben und Bühne lieferte er einen überzeugenden Einstand. Die Robert-Schumann-Philharmonie, die zum Schlussbeifall auf der Bühne präsent war, erhielt besonders laute Ovationen. Wieder einmal lohnt die Reise nach Chemnitz.

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