George Enescu

Nach über hundert Konzerten in Bukarest und anderen rumänischen Städten, Ausstellungen, Konferenzen und Diskussionsrunden ist am Wochenende das Internationale Enescu Festival, eine der größten Veranstaltungen mit klassischer Musik in Europa, zu Ende gegangen. Remy Franck hat einige der Konzerte erlebt.

Das vom Kulturministerium via seine Agentur Artexim unter der Leitung von Cristina Uruc organisierte Festival ist äußerst vielfältig. Das betont auch der künstlerische Leiter Cristian Macelaru: « Das erste Ziel ist Innovation und Vielfalt. Wir haben die Arten von Musik, die wir präsentieren, die Veranstaltungsorte, die wir nutzen, und die Anzahl der Städte über Bukarest hinaus erweitert. Dies war ein wichtiger Schritt, um das Festival zugänglicher und innovativer zu machen. Der zweite Punkt ist Exzellenz. Wir konzentrieren uns darauf, die besten Künstler zu präsentieren, die heute verfügbar sind. Das dritte Element ist Gespräch. Kultur kann als Botschafter dienen, um Menschen zusammenzubringen. Sie öffnet Rumänien für die Welt, und die Welt für Rumänien. Lange Zeit war Rumänien unter dem Ceaușescu-Regime in seinen Grenzen gefangen. Mehr als 30 Jahre später fühlt sich das Land für viele immer noch unentdeckt an. Aber es ist pulsierend, lebendig und voller Energie. Durch Kultur versuche ich, Brücken zu bauen, damit wir wirklich davon profitieren können, einander kennenzulernen. »

Mein erstes Konzert war jenes mit dem Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo unter dem 88-jährigen Schweizer Dirigenten Charles Dutoit mit der Pianistin Martha Argerich im wundervollen Athenäum in Bukarest.

Das Programm begann mit Maurice Ravels Ma mère l’oye, einem Werk, das Charles Dutoit auf exquisite Weise wiedergab, indem er den melodischen Linien einen ganz natürlichen Charme verlieh. Dies galt auch für die Valses nobles et sentimentales, die wie Diamanten funkelten, mit erlesenen Farben, einer außergewöhnlichen Leichtigkeit, viel Raffinesse und absolut hinreißenden Nuancen.

Frustrierend: Ravel mit der Argerich

Martha Argerich war die Solistin im G-Dur-Konzert von Ravel. So sehr sich Dutoit und die exzellenten Musiker aus Monte-Carlo auch um die Musik bemühten, die Interpretation blieb hinter dem zurück, was wir erwartet hatten. Sicher, Argerich hatte zuvor viele Konzerte wegen Übermüdung abgesagt und trat hier zum ersten Mal wieder auf. Ihre Darbietung war enttäuschend. So sehr ich diese außergewöhnliche Pianistin auch immer wieder live und auf Aufnahmen bewundert habe, ich konnte nicht anders, als ihre Interpretation als frustrierend zu empfinden.

Ihr Spiel, obwohl von der Fingerfertigkeit her beachtlich, war monochrom und hatte extrem wenig Dynamik. Der langsame Satz floss schön, aber auch nicht besonders inspiriert, und die beiden Ecksätze waren nicht mehr als banal. Vielleicht sollte Martha Argerich, die sich in diesem Konzert nur als ein Schatten ihrer selbst präsentierte,  doch daran denken, ihre Karriere zu beenden.

Charles Dutoit
(c) Petrica Tanase / Enescu Festival

Mit Debussys La Mer fand dieses ganz französischer Musik gewidmete Konzert seinen Abschluss. Charles Dutoit und das Orchestre Philharmonique de Monte-Carlo garantierten einmal mehr allerhöchstes musikalisches Niveau: nirgends gab es Schwächen. Es wurde ungemein professionell musiziert, und die Eleganz, mit der Dutoit bereits zuvor überzeugte, war auch in diesem Stück ein großer Pluspunkt.

Kombiniert mit rhythmischer Präzision und interpretatorischer Phantasie verdiente daher auch diese Aufführung die Bestnote.

Motto: Schnell und laut

Mein zweites Konzert fand auch im Athenäum statt, mit dem von Gianandrea geleiteten Mahler Chamber Orchestra. Am Anfang spielte der Geiger Augustin Hadelich George Enescus Ballade für Violine und Orchester, ein Werk voller Mystik und Melancholie. Darauf folgte Serge Prokofievs zweites Violinkonzert, in dem Noseda sich kaum für seinen Solisten interessierte, sondern sich voll auf sein Orchester konzentrierte. Er ließ die Flötensoli im ersten Satz zu laut werden, so dass sie Hadelich zudeckten. Vom Orchester erhielt er als Antwort auf sein engagiertes Dirigieren ein spannendes Spiel. Insgesamt war es weder eine geschärfte und das Groteske betonende Interpretation, noch einer überaus glättende, so dass wir es mit Middle of the Road-Aufführung zu tun hatten.

Die inkohärent und unausgeglichen geratene Einleitung zum ersten Satz der Zweiten Schumann ließ nichts Gutes ahnen. Doch glücklicherweise bestätigte sich das nicht.

Diese Symphonie kann man fließend und schnell gestalten, oder man kann sie atmen und strukturieren. Noseda optierte fürs Schnelle und einen atemlosen Fluss. So kam es zu einem aufgewühlten und dramatischen ersten Satz, einem sehr, sehr schnellen zweiten, einem schön fließenden dritten sowie einem Finale, das mit dem Motto ‘schnell und laut’ effektvoll wurde und beim Publikum gut ankam.

Ich wartete derweil immer noch auf einen musikalischen Höhepunkt, und der kam mit dem Rumänischen Jugendorchester bei dessen Konzert im Palatului,

Der Gesang der jungen Rumänen

Dies war mein erstes Konzert in dieser hässlichen, noch aus kommunistischen Zeiten stammenden Monsterhalle mit 3000 Plätzen, die akustisch glücklicherweise dort, wo ich saß, eigentlich sehr gut klang.

Dennoch stellte ich mir vor, wie viele kommunistische Bonzenärsche auf diesem Sitz gesessen haben, und mir war unwohl dabei.

Die Interpretation des Grieg-Konzerts von Simon Trpceski und dem deutschen Dirigenten Christian Reif ließ mich das schnell vergessen. Sie war der schönste Beweis für das, was man erreicht, wenn nicht alles schnell und laut wird, wie in Nosedas Schumann. Und so prägte totaler Lyrismus die beiden ersten Sätze des Konzerts.

Trpceski ließ sich vom Geigenklang inspirieren, lehnte sich quasi Kopf an Kopf zum Konzertmeister Theodor Andreescu, um das Lyrische des Geigers zu übernehmen,

Doch es war nicht nur Andreescu der sein Instrument singen ließ, auch die anderen jungen Musiker taten das unter der betont lyrischen Leitung von Christian  Reif. Der Gesang der jungen Rumänen ließ auch den zweiten Satz sublim werden. Der dritte war wunderbar tänzerisch und beschwingt. Diese  Aufführung allein war die Reise nach Bukarest wert.

Christian Reif
(c) Alex Damian / Enescu Festival

Reif war der richtige Dirigent, um die jungen Musiker in Beethovens Neunter Symphonie zu motivieren. Zügig erklangen der erste und der zweite Satz, und auch der dritte überzeugte ohne Pathos, mit sehr schönen und bewegenden Momenten, wobei immer wieder die großartige Transparenz begeisterte.

‘Freude schöner Götterfunken’, das war ein Motto, welches das ganze Orchester prägte, und auf quasi jedem Gesicht war eben diese Freude zu sehen. Die Symphonie war erfüllt von kommunikativer Frische, schlüssig sowohl in der völlig unmanierierten Lesart als auch in den durchwegs schnellen Tempi. Der Dirigent spornte das gute und homogene Solistenquartett (Ailyn Perez, Judit Kutasi, Maximilian Schmitt und Soloman Howard) sowie den exzellenten, stimmgewaltigen Rumänischen Nationalchor und das Orchester zu einer wirklich guten Leistung an.

Bartok aus Ungarn

Tags darauf spielte das Budapest Festival Orchestra ein ganzes Bartok-Programm unter der Leitung von Ivan Fischer.

Zunächst erklang das Ballett Der wunderbare Mandarin, das nicht nur gespielt, sondern auch von der Eva Duda Dance Company szenisch aufgeführt wurde. So erlangte die Pantomime eine visuelle Dimension, die die Wirkungskraft der Musik unterstrich.

Fischer betonte die Farben und das Sensuelle. Seine Vorstellungskraft erzeugte das Feuer für eine packende, intensive, aber nicht einseitig brutale Lesung, wie das in vielen anderen Interpretationen der Fall ist. Das Spiel des sehr engagierten  Orchesters war elastisch und von seltenem Ausdruck, mit einer ausgeprägten Sorge für alle Arten von Nuancen, die den Sauerstoff dieser Partitur liefern.

Nach der Pause wurde Bartoks Oper ‘Herzog Blaubarts Burg’ aufgeführt. Den Prolog rezitierte Fischer selber, und er tat das so gut und packend, dass man ihn dafür nur bewundern konnte. Dieser Prolog ist ja ein unersetzlicher Bestandteil dieses um die Themen Selbstfindung und Selbstzerstörung kreisenden Meisterwerks.

‘Herzog Blaubarts Burg’ ist eine Komposition, deren Musik in ihrer Farbigkeit eigentlich im Gegensatz steht zu ihrem düsteren Sujet. Oder? Ist das Sujet wirklich so düster? Für Ivan Fischer scheint Blaubart, der seine drei Frauen umbrachte, nicht primär ein Mörder zu sein. Er ist ein einsamer Mensch, ein Suchender und ein Gefangener seiner eigenen Gefühle. Ein Verdammter? Ein Holländer? Und Judith eine Senta, die mit ihrer Liebe Erlösung bringt? Ivan Fischer setzte alles daran, uns diese Schlussfolgerung aufzudrängen. Die Bildkraft der einzelnen Tableaus nutzte er aus, nicht um Kälte und musikalisches Eis zu produzieren, sondern, um die Musik Bartoks farbig und opulent aufblühen zu lassen.

Großartig waren auch die beiden Sänger. Der lyrische Bass Krisztian Cser sang mit einer schwarzen, aber sehr schlanken und wendigen  Stimme und zeichnete den unglücklichen Blaubart sehr differenziert und äußerst feinfühlig: er gab sich dabei eigentlich sehr fatalistisch. Dorottya Lang ging ganz in der Rolle der Erlösung bringenden Judith auf. Mit ihrem hohen Mezzo und guter Projektion gelang ihr eine grandiose Darbietung.

Grandios: Orchestre National de France und Cristian Macelaru

Das letzte Konzert, dem ich beiwohnen konnte, war jenes des Orchestre National de France unter Cristian Macelaru.

Anne-Sophie Mutter war die Solistin zunächst im Air von Thomas Adès, einem leider ziemlich unbedeutenden und nichtssagenden Werk, das mit wenig Material viel zu lange dauert.

Anne-Sophie Mutter & Cristian Macelaru
(c) Cristina Tanase / Enescu Festival 

Danach spielte Mutter das Erste Violinkonzert von Mozart, wunderschön artikulierend, lebendig begleitet vom Orchester.

Maurice Ravels Daphnis et Chloé M. 57 bildete den zweiten Teil des Konzerts  und zeichnete sich nicht nur durch eine wunderbare Interpretation aus, sondern auch durch die visuelle Umsetzung des Sujets in einem immersiven Film von Nona Ciobanu, Peter Kosir und Gigi Caciuleanu.

Die von Macelaru geheimnisvoll und ungemein evokativ gestaltetet Atmosphäre wurde durch die Bilder noch verstärkt. Wie schon in der Aufnahme von Naïve gelang Macelaru eine ungemein stimmungsvolle Interpretation mit aufregenden Klangwirkungen.

Daphnis et Chloé mit immersiver Videoprojektion
(c) Patrica Tanase / Enescu Festival

Mit welcher Sorgfalt der Dirigent seine Interpretation vorbereitet hatte und wie spontan er diese Vorbereitung auf dem Podium umsetzte, zeigten u.a. die Danse grotesque de Dorcon, die kurze Danse lente et mystérieuse des nymphes oder die Danse suppliante, also Stücke, die in vielen Interpretation quasi nebensächlich werden und dadurch eigentlich  den Rückgriff auf die Suiten rechtfertigen. Hier zeigte der rumänische Dirigent, wie wichtig gerade die kleinen Teile des Balletts sind, die nicht in den Suiten enthalten sind, und wenn die Vehemenz der Danse générale uns schließlich überwältigte, dann war doch mehr von Daphnis et Chloé zu hören als in vielen anderen Interpretation. Das haben Macelaru und das glänzend disponierte Orchestre National de France in ihrer rauschhaften Interpretation grandios gezeigt.

Und so ging dieses Konzert im einmal mehr voll besetzten Saal (3000 Plätze) ganz toll zu Ende.

Wie von der Festivalleitung zu hören war, verzeichnete das 27. Enescu Festival ein wachsendes Publikum, was sicher auch Sponsoren und die öffentliche Hand überzeugte. Die Finanzierung des Festivals erfolgt zum größten Teil durch das rumänische  Kulturministerium. « Eine Investition in die Kultur ist nicht nur eine Investition in eine bessere Gesellschaft, sondern hat auch direkte wirtschaftliche Auswirkungen », sagte der künstlerischer Leiter Cristian Macelaru,

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