
Die sechs 1923 komponierten Solosonaten von Ysaÿe sind jeweils einem jungen Geiger in die Finger geschrieben und können somit indirekt auch als Indiz für die Aufführungstechniken im frühen 20. Jahrhundert dienen.
Schon in der ersten Sonate spannt Ysaÿe einen weiten Bogen von Bach über spätromantische Töne bis hin zu dissonanten Partien. Und für diese Sonate wie die anderen gilt sein Credo, der Ausführende dürfe nicht bei den herausfordernden technischen Fragen verharren, sondern müsse stets « Hoffnung, Liebe, Leidenschaft und Verzweiflung“ darstellen.
Mit Roman Simovic legt nun ein Geiger seine Interpretation vor, der als Konzertmeister des London Symphony Orchestra und darüber hinaus als weitgereister Solist über einen reichen Erfahrungsschatz verfügt, den er auch hier einbringt. So sind sechs eigenständige Stücke zu erleben, die das Ansinnen von Ysaÿe reflektieren.
Simovic versteht es, seine Sichtweise so elegant und selbstverständlich zu gestalten, dass man nicht nur bei jeder Sonate, sondern in jedem Satz eine eigene Persönlichkeit erlebt. Damit gelingt es ihm, den erhofften Emotionen Ausdruck zu verleihen und die Musik lebendig atmend auszuloten. Lauscht man diesen Deutungen, so vergisst man völlig, welche technischen Herausforderungen die Werke bieten. Vielmehr wirkt seine Herangehensweise so unprätentiös, dass man das Virtuose fast schon vermissen mag. Aber diesem ‘Manko’ braucht man nicht wirklich nachzutrauern.
Ysaÿe’s six solo sonatas, composed in 1923, were each written for a young violinist and can therefore also indirectly serve as an indication of performance techniques in the early 20th century.
Even in the first sonata, Ysaÿe spans a wide range from Bach to late Romantic tones and dissonant passages. And for this sonata, as for the others, his credo applies that the performer must not stop at the challenging technical questions, but must always portray “hope, love, passion and despair”.
Roman Simovic, a violinist who, as concertmaster of the London Symphony Orchestra and also a widely traveled soloist, has a wealth of proficiency at his disposal, which he also brings to bear here. The result is six independent pieces that reflect Ysaÿe’s approach.
Simovic knows how to shape his vision so elegantly and naturally that one experiences a distinct personality not only in each sonata, but also in each movement. In this way, he succeeds in giving expression to the desired emotions and in breathing life into the music. Listening to these interpretations, one completely forgets the technical challenges of the works. In fact, his approach seems so unpretentious that you almost miss the virtuosity. But you don’t really need to mourn this “shortcoming”.