Die deutsche Gitarristin Heike Matthiesen ist im Alter von 59 Jahren an den Folgen einer Krebserkrankung gestorben. Hier ist ein Nachruf von Salvatore Pichireddu.
Ich glaube jeder, der in den letzten 10-15 Jahren im deutschsprachigen Twitternetzwerk (zuletzt auf Mastodon und Bluesky) unterwegs war und sich auch nur ein wenig mit Musik beschäftigt, stolperte früher oder später über Heike Matthiesen aka. @gitarra, die eloquente, polyglotte, feinfühlige, hoch talentierte Streiterin für viele soziale und politische Themen und vor allem für die Musik: Musik von Frauen. Musik für Gitarre. Musik, der Musik wegen.
Ihre Alben erschienen nicht bei den Labels, für die ich im Laufe der Jahre tätig war. Deshalb habe ich sie nie persönlich getroffen und wollte sie doch immer im Konzert erleben. Wir haben nur hie und da ein paar private Nachrichten über Musik, Italien, die Oper, Gott und die Welt gewechselt. Ich bewunderte die Natürlichkeit, mit der sie Social Media nutzte, um authentisch zu kommunizieren. Sie schaffte es, ganz ohne Filter und Algorithmen, charismatisch zu sein. Sie war humorvoll, respektvoll, persönlich und von entwaffnender Ehrlichkeit, auch als sie vor fünf Jahren an Krebs erkrankte. Sie sprach (vielmehr schrieb) über alles, was die Krankheit mit sich bringt: Angst, Depression, Hoffnung. Zuletzt Schmerz und Leid. Ihr letztes Lebenszeichen ließ das Schrecklichste erahnen.
Nun ist sie, kurz vor Weihnachten, nach langem, tapferen Kampf gestorben. Sie, die den Krebs schon besiegt hatte. « Cancer survivor » stand in ihrem Bluesky-Profil. Doch der Krebs kehrte zurück, mit voller Wucht.
Wer Heike Matthiesen als Gitarristin nicht kennt, dem empfehle ich ihre (ich glaube fünf) Alben, vor allem « Guitar Ladies » und « Guitar Divas ». Man findet sie im Streaming, natürlich auch auf CD. Sie fanden, wie Gitarrenmusik im Allgemeinen und Musik von Frauen in besonderem, viel zu wenig Beachtung. Ihre Alben belegen nicht nur, was für eine brillante Gitarristin sie war, sondern auch, wie profund ihr Wissen über die lange übergangenen Frauen in der Musikwelt war. Sie hat wundervolle Musik zu Tage gefördert und war eine der wichtigsten Schlüsselfiguren in Deutschland in der überfälligen Neubewertung von Komponistinnen. Ihre Arbeit im ‘Archiv Frau und Musik’ in ihrer Heimatstadt Frankfurt am Main war essenziell für die jetzt allgegenwärtige Beachtung von Frauen als Interpretinnen und Komponistinnen in der Musikgeschichte.
Heute, da ich traurig bin, da die Welt eine so besondere Künstlerin verloren hat, bewegt mich ihre Eigenkomposition « Into the dark » von 2022 am meisten, »written in rehab, fighting with cancer and depression. Turning the sorrow into music«. Sie nahm es auf ihrem Smartphone in einer Reha-Klinik im Hamm auf. Das kurze Stück klingt wie rückblickend eine Todesahnung, die sich vor rund einer Woche bestätigen sollte. Die Welt hat einen besonderen Menschen verloren. R. I. P. Heike