
Das Musikdenken von Berio war vor allem auf Beweglichkeit gerichtet, die Durchlässigkeit von Genres, das Überschreiten von Grenzen oder sogar die Auflösung von Ritualen, vor allem aber das Ineinandergreifen mit Sprache. Insofern mögen seine Kompositionen für Quartett, einem hermetisch festgefügten Mikrokosmos, überraschen.
Das Quatuor Molinari aus Kanada widmet sich diesem einstündigen Kosmos. Sie zeigen die Stücke als selbstbezogene Musik, die schon aus den abstrakten Titeln Quartetto per archi oder Sincronie deutlich wird, aber dann auch mit Notturno nach Celan wieder Bilder in die Musik einfließen lässt. Die über Jahrzehnte, auch nach großen Pausen, geschriebenen Quartette bieten verschiedene Entdeckungsmöglichkeiten.
Das Quatuor Molinari ist auf die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts spezialisiert. Es wagt sich mit dezidiert analytischem Ansatz an die Werke. Die am Anfang von Glosse stehende Pizzicato Geste, man mag das deutsche Kinderlied Hänschen-Klein hören, kehrt immer wieder und bietet so ein Gewebe für das Stück, das bis zu einem Espressivo führt, in dem wiederum ein Sprachcharakter anklingt. Hier vermittelt das Quatuor Molinari mit ebenso sicherer wie leichter Hand einen poetischen Charakter, über objektivierte Formhülsen hinaus.
Nach der immer noch maßgeblichen Einspielung des Arditti Quartet vor mehr als zwanzig Jahren bietet sich hier mal wieder ein Gesamtblick auf diese Werke. Zusätzlich umfasst die aktuelle Aufnahme noch das Werk Study. Berio komponierte es 1952 aus Dankbarkeit für seinen Freund Bruno Maderna, der ihm sein Quartetto per archi gewidmet hatte. Auch Berio war stark von Anton Webern beeinflusst. Er beschrieb die Studie frei formuliert als wienerisch im Geist. Der klassische Stil lässt sich kurz als „Berio, bevor er Berio wurde“ beschreiben.
Das Molinari Quartett bleibt in seinen Interpretationen zeitlich immer deutlich unter denen des Arditti Quartetts. Trotzdem vermitteln sie keine Eile, sondern nutzen die Zeit, alle Stränge zu gestalten. Die Kühle ihrer Darstellung wird den Werken gerecht. Technisch sehr versiert und interpretatorisch durchdacht gestaltend ist diese Gesamtschau außerordentlich.
Berio’s musical thinking was primarily focused on mobility, the permeability of genres, the crossing of boundaries or even the dissolution of rituals, but above all the interaction with language. In this respect, his compositions for quartet, a hermetically sealed microcosm, may come as a surprise.
The Quatuor Molinari from Canada dedicates itself to this one-hour cosmos. They present the pieces as self-referential music, which is already clear from the abstract titles Quartetto per archi or Sincronie, but then also allows images to flow back into the music with Notturno after Celan.
The quartets, written over decades, even after long breaks, offer various opportunities for discovery.
The Quatuor Molinari specializes in the music of the 20th and 21st centuries. It approaches the works with a decidedly analytical approach. The pizzicato gesture at the beginning of Glosse, one might hear the German children’s song Hänschen-Klein, returns again and again and thus provides a fabric for the piece that leads up to an espressivo, in which a linguistic character is echoed. Here the Quatuor Molinari conveys a poetic character with an equally sure and light hand, going beyond objectified formal shells.
After the still authoritative recording by the Arditti Quartet more than twenty years ago, this recording once again offers a complete view of these works. The current recording also includes Study. Berio composed it in 1952 out of gratitude for his friend Bruno Maderna, who had dedicated his Quartetto per archi to him. Berio was also strongly influenced by Anton Webern. He freely described the study as Viennese in spirit. The classical style can be briefly described as “Berio before he became Berio”.
The Molinari Quartet’s interpretations are always well below those of the Arditti Quartet. Nevertheless, they are in no hurry, but use the time to shape all the strands. The coolness of their performance does justice to the works. Technically very adept and interpretatively well thought-out, this overall performance is extraordinary.