Eugène Ysaÿe: Sonaten für Violine solo op. 27 Nr.1-6; Kerson Leong, Violine; 1 CD Alpha 455; Aufnahme 10-11/2019, Veröffentlichung 02/2021 (70'20) – Rezension von Uwe Krusch

Seit 1923, das Jahr, an dem Ysaÿe an einem Tag seine sechs Solosonaten schuf, ist beinahe ein Jahrhundert vergangen. An ihrer Qualität, Aktualität für Geigende und dem Reiz, den sie ausüben, auf Ausführende wie Zuhörer, haben sie jedenfalls nichts verloren.

Der aus Kanada stammende Kerson Leong legt jetzt mit seinen nicht einmal ein Viertel Jahrhundert ausmachenden Lebensjahren diese Solosonaten vor. Sehr schnell wird deutlich, dass Leong trotz seiner jungen Jahre diese Musik sehr tiefgründig aufgesogen und erfasst hat. Sein Spiel ist so technisch ausgefeilt und gestalterisch so facettenreich und nuanciert ausformuliert, dass man sich fragen mag, wieso andere mit diesen Werken Schwierigkeiten haben. Trotz seines so detaillierten Ausgestaltens schafft er es aber problemlos, die Übersicht zu behalten und den Bogen der Interpretation zu spannen. Dabei ist sein Spiel so angelegt, dass er den Werken seinen eigenen Ansatz mitgibt, was die durchaus unterschiedlich, nämlich als Karikaturen und Lobpreisungen für sechs geigende Zeitgenossen von Ysaÿe angelegten Stücke, zu einem einheitlichen Höreindruck zusammen zu fassen.

Wenn man denn etwas finden möchte, was gegen diese Darstellung spricht, dann ist es das Momentum, dass die Überlegenheit und die Überlegtheit der Interpretation ein wenig hörbare Spontaneität und auch Modernität der Kompositionen vergessen lässt.

Almost a century has passed since 1923, the year Ysaÿe created his six solo sonatas in one day. In any case, they have lost nothing of their quality, their topicality for violinists and the attraction they exert on performers and listeners alike.
Canadian-born Kerson Leong, who is less than a quarter of a century old, now presents these solo sonatas. It quickly becomes clear that Leong, despite his young age, has absorbed and grasped this music very profoundly. His playing is so technically polished and so richly facetted and nuanced that one might wonder why others have difficulty with these works. In spite of his detailed interpretation, he manages without any problems to keep the overview and to span the arc of the interpretation. At the same time, his playing is such that he imparts his own approach to the works, which makes it possible to combine the pieces, which are quite different from one another, namely as caricatures or praise for six of Ysaÿe’s violin-playing contemporaries, into a unified listening impression.
If one wants to find something that speaks against this presentation, then it is the momentum that makes the superiority and thoughtfulness of the interpretation forget a little spontaneity and also the modernity of the compositions.

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