Lucilin
(c) Alfonso Salgueiro Lora / Philharmonie Luxembourg

Bei der Vorstellung moderner bis modernster Musik in Luxemburg reicht üblicherweise der kleinste Publikumsraum der Philharmonie, Espace Découverte, aus, um das meist handverlesene Publikum zu beherbergen. Das war auch mit dem aktuellen Projekt ‘Generations’ nicht anders. Allerdings darf man sagen, dass es diesmal sehr knapp war. Trotz einiger zugestellter Bänke musste das Publikum zusammenrücken, um allen Interessierten Platz zu bieten. Das ist eine erfreuliche Entwicklung, wenn man bedenkt, welch (geringen) Stellenwert die moderne Musik bei der Masse des Publikums im Allgemeinen und gerade auch in Luxemburg hat, stellt Uwe Krusch fest.

Es war schon überraschend, als Pascal Meyer vom Ensemble United Instruments of Lucilin im Vorgespräch gewissermaßen zwei alte und zwei neue Werke ankündigte, sprach er doch für ein auf neue Musik spezialisiertes Ensemble. Aber um das zu verstehen, muss man den anderen Standpunkt einnehmen, der nur die neue Musik der letzten Jahre bis maximal Jahrzehnte betrachtet und nicht die Musikgeschichte insgesamt im Blick hat. Und aus dieser Blickrichtung sind Werke von Gérard Grisey von 1974 und Younghi Pagh-Paan von 1986 eben alte Musik. Denn für die Musiker vom Lucilin oder anderen Gruppen gleicher Prägung gehören diese Werke zum jederzeit abrufbaren Repertoire. Die beiden anderen Werke des Konzerts dagegen waren wirklich neue Kompositionen, die keine zehn Jahre bzw. erst wenige Wochen alt sind.

Der Abend stand unter dem Motto ‘Generations’ und war damit die Bezugnahme der beiden jungen Komponisten nach ihrem Geburtsjahr zu Entstehungsjahren der Werke der älteren Komponisten. Dazu hatten sich neun Musiker des Ensembles United Instruments of Lucilin nebst dem Komponisten Aurélio Edler-Copes für sein eigenes Stück, der Dirigentin Elena Schwarz für den ersten Programmabschnitt und drei technische Mitwirkende von IRCAM der Gegenüberstellung von zwei Werken aus dem letzten Viertel des letzten Jahrhunderts mit zwei jüngsten Kompositionen angenommen.

Eine ‘olle Kamelle’ war das aus dem Zyklus Les Espaces Acoustiques herausgelöste Périodes für siebenköpfiges Ensemble, dessen Darbietung ebenso wie der einleitende Prologue die Hauptverantwortung der Viola zuordnet. Dieses der spektralen Musik zugeordnete Werk, das abstrakt ohne Bezugnahme auf außermusikalische Aspekte Töne und Klänge erforscht, litt ein wenig unter dem verstimmten Soloinstrument, so dass das Ensemble etwas verunsichert wirkte. Zwar ist eine Nachstimmpassage einkomponiert, aber diese fiel hier bedeutsam aus und stoppte den Fluss.

Das moderne Bezugswerk hierzu war zugleich das jüngste. Die Uraufführung des von Lucilin zusammen mit IRCAM beauftragten Werks Mental Radio Machine I des brasilianischen Komponisten Aurélio Edler-Copes setzte weitgehend, wie alle Stücke des Abends, auf die gleiche Besetzung, allerdings mit bedeutsamen Nuancen. Zum einen ist hier die E-Gitarre zu nennen, die der Komponist selber spielte. Aus seiner Jugend als Rock- und Jazzmusiker ist er mit diesem Instrument vertraut. Dazu kam mit dem Keyboard und einer üppigen elektronischen Ausstattung eine weitere Ebene, die die analogen Instrumente und die Elektronik verbindet, das natürlich Spiel aber auch verfremdet. Dazu tritt bei Edler-Copes die Bezugnahme auf ein Außermusikalisches, nämlich auf die Erzählung Die Billigesser von Thomas Bernhard. Daraus entwickelt Edler-Copes ein Konzept, dass Stimmen und Instrumente, auch wie ein Radio klingend, einbezieht und so einen eigenen lebendigen Kosmos schafft.

Lucilin
(c) Alfonso Salgueiro Lora / Philharmonie Luxembourg

Für Edler-Copes ergibt sich das Generationenthema als Näheempfinden zu einzelnen ihn persönlich ansprechenden Werken und nicht zu Komponisten oder Stilrichtungen insgesamt. Les Espaces Acoustiques sind ein solches Werk für ihn. Im Vorgespräch hatte Pascal Meyer betont, dass es für sie als Ausführende immer wichtig ist, nicht nur die Noten zu sehen, sondern auch das Verständnis, die Blickrichtung und die Intention des Komponisten hinter dem Werk zu kennen, um eine adäquate Aufführung gestalten zu können. Das war ihnen augenscheinlich sehr gut gelungen, da dieses den Abend abschließende Stück, zu dem auch die mitgereisten technischen Helfer vom IRCAM maßgeblich beitrugen, beim Publikum einen ungeteilt positiven Eindruck hinterließ und mit intensivem Applaus bedacht wurde. Man darf sich also auf die Fortsetzung, die durch die im Werktitel gegebene Nummerierung und die angekündigte Fortsetzung im kommenden Jahr folgen soll, freuen.

Das andere alte Werk war MAN-NAM II der südkoreanischen Komponistin Younghi Pagh-Paan. Dieses als Quartett für Klarinette und Streichtrio entstandene Werk, dessen Nummer II auf die Neufassung für Altflöte und Streicher hinweist, ist wiederum als abstrakt im Sinne rein musikalischer Auseinandersetzung zu sehen. Dieses Werk schildert in teilweise moderner als bei den anderen klingenden Strukturen den Kulturschock und Verlustgefühle, den Pagh-Paan bei ihrem Umzug aus Südkorea nach Deutschland erlebte. Darin verbindet sie koreanische und europäische Musik zu einer Melange besonderer Intensität.

Waren die bisher benannten Werke alle eine Viertelstunde lang, so hatte das vor der Pause gespielte D’après von Clara Iannotta mit nur der Hälfte der Dauer ebenfalls einen musikalisch-außermusikalischen Hintergrund. Ihr sind der Klang von Glocken und die Erkundung der sie umgebenden Welt wichtig. Mit dem Titel und dem Werk geht sie speziell auf das Verklingen des Geläutes des Freiburger Münsters ein und die danach in das Un-Bewusstsein des Ohrs zurückkehrenden Klänge der den Ort bespielenden Alltagsgeräusche.

Natürlich ist ein Konzert der Reihe Musiques d’aujourd’hui keine Wohlfühloase wie vielleicht am Abend zuvor das Mozartprogramm mit Anne-Sophie Mutter. Die Philharmonie bindet beide Hörerkreise ein und mit anderen Reihen noch viele mehr. Und das ist auch gut. Aber man würde sich schon wünschen, dass die moderne, vielleicht auch `nur´ die klassische moderne Musik wie die von Grisey öfter auch im großen Saal Einzug hielte und dort auf Dauer auch ein größeres Publikum erreichen könnte. Manche Werke wie das Bratschenkonzert von Widmann vor gut einem Jahr schaffen ja beides, den Weg ins den großen Saal und die Anerkennung des Publikums, die natürlich auch dem Solisten gilt. Aber immerhin, mit dem prall gefüllten Espace Découverte statt einzelner versprengter Zuhörer ist ein Anfang gemacht.

Luxemburg hat mit seinen eigenen United Instruments of Lucilin ein exzellentes Ensemble für die Präsentation moderner Musik, dass sich hinter Ensemble Modern, ASKO oder auch Wien Modern, um nur einige zu nennen, beileibe nicht verstecken muss. Ein Abend zum Genießen, wenn auch nicht zum klassischen Wohlfühlen zurückgelehnt im Sessel des großen Saals, der bleibende Eindrücke hinterlässt.

 

 

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