Capuçon & Chailly
(c) Sébastien Grébille

Obwohl die Filarmonica della Scala erst 1982 gegründet wurde, kann sie auf eine viel längere geschichtsträchtige Zeit zurückblicken, denn natürlich handelt es sich um das berühmte Orchester der Scala, dass sich für symphonische Auftritte neu formiert hat. Auf der Bühne und nicht im Graben waren sie am Samstagabend in der Philharmonie zu Gast, geleitet von ihrem Chefdirigenten Riccardo Chailly. Als Gast hatten sie zwar keinen Sänger mitgebracht, aber Renaud Capuçon ließ als Solist seine Geige so leuchtend singen, dass eine Ähnlichkeit zum Gesang nicht zu leugnen war. Was es über diesen Besuch mit Klassikern der Literatur zu berichten gibt, weiß Uwe Krusch.

Vielleicht überraschend hatten die Norditaliener nicht einmal einen Happen Verdi oder ähnliches Standardrepertoire aufgelegt. Das ergab sich auch aus den Umständen, denn das Violinkonzert von Beethoven ist so dimensioniert, dass es allein einen Teil eines üblichen Konzertrahmens abdeckt. So startete man also gleich zusammen mit dem Solisten Renaud Capuçon in dieses großartige Werk und bot damit seinen Beitrag zum Jubeljahr. Dabei wurden in der Einleitung das Ensemble und ihr Leiter sogleich den Erwartungen gerecht, ein äußerst sorgfältig vorbereitetes und fein austariertes Zusammenspiel zu präsentieren, dass sich keinen neumodischen Entwicklungen oder gar Eskapaden verpflichtet fühlt. Mit der gelassenen Ruhe des Grand Seigneurs ließ Chailly sich die Linien entwickeln und man durfte der gehobenen Qualität dieses Klangkörpers lauschen. Für eine ruhige Lesart sprach auch schon das großbesetzte Podium mit voller symphonischer Stärke im Streicherkorpus, während Spezialensemble die Zahl der Musiker hier reduzieren.

Capuçon schlich sich zwar in diesen Duktus nicht ein, aber sein silbrig edles Spiel, das von seinem eleganten französisch inspiriert wirkenden Erscheinungsbild begleitet wurde, zeugte von größter Sorgfalt bei der Gestaltung der Tonqualität seines Spiels. Während bei vielen Geigenden Geräusche der Saitenbearbeitung durch den Bogen mitzuhören sind, gelang es Capuçon, sich rein auf Töne zu kaprizieren. Für diese Sorgfalt war ein nicht überspitztes Tempo natürlich hilfreich, so dass sich hier die Interessen der Beteiligten trafen. Auch die Kadenzen boten weder Überraschungen im Sinne der Auswahl noch der Darstellung. Die Erfahrung des Orchesters aus dem Graben im Opernhaus kam der Interpretation insoweit so nebensächlich wie überzeugend zugute, als auch die große Besetzung zu keiner Zeit drohte, den Solisten klanglich zuzudecken. Hier wurde aufmerksam zugehört und auf die Bedürfnisse desjenigen an der Rampe eingegangen. So konnte sich ein einfühlsames Zusammenspiel entspinnen, dem Capuçon nicht nur während seiner Pausen mit geschlossenen Augen scheinbar meditierend lauschte.

Capuçon & Chailly
(c) Sébastien Grébille

So behütet, konnte das Publikum nach warmen Applaus und liedhafter Zugabe entspannt in der Pause auf das zweite Repertoirestück warten, dass mit den Bildern einer Ausstellung von Mussorgsky in der nach wie vor unübertroffenen Instrumentierung von Ravel eine reißerische Komponente anzubieten schien. Allerdings blieben Dirigent und Orchester ihrem Ansatz treu und ließen den einzelnen Abschnitten alle Zeit, sich dem Hörsinn des Auditoriums zu nähern. Das ging sogar so weit, dass die volle Entfaltung orchestraler Pracht und Wucht allein dem abschließenden großen Tor von Kiew vorbehalten blieb.

Auf dem Weg dahin durften insbesondere die Bläser ihre Fähigkeiten beweisen. In einzelnen Momenten agierten die Streicher eher am hinteren Ende des Schlags als voranschreitend Energie anzuzeigen. Unsauberkeiten im Bläserapparat blieben rar, so dass von beiden keine wirkliche Beeinträchtigung der Darbietung ausging. Vielmehr gelang es, die Feinheiten und Raffinessen der Instrumentation durch Maurice Ravel so detailliert aufzuzeigen, wie es sonst kaum einmal gelingt, weil mehr auf effektvolle Präsentation geschielt wird als auf reizvolle Einzelheiten.

Als einer der großen Dirigenten der Zeit, der alle großen Orchester und etwa die Symphonien von Mahler maßstabsetzend dirigiert hat, konnte Chailly auch an diesem Abend mit präziser Zeichengebung und sicherem Überblick, der trotzdem den Instrumentalisten den Raum zum Atmen ließ, die Zustimmung des Publikums erheischen. Die abschließende Hervorhebung der Orchestersolisten durch ihn und die Entlassung der Musiker in den Feierabend ließ den Abend mit zwei für sich sprechenden Werken in bester warmer Erinnerung stehen, ohne die beiden Stücke durch eine willfährige Zugabe vielleicht zu beeinträchtigen.

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