Sergei Prokofiev: Symphonien Nr. 1-7; Gürzenich Orchester Köln, Dimitrij Kitajenko; 5 CDs Capriccio C7190; 2005-2007 ( 291′) - Rezension von Remy Franck

Es besteht kein Zweifel daran: Dimitrij Kitajenkos Prokofiev-Symphonien mit dem Gürzenich Orchester sind Referenzeinspielungen. Die lange vergriffene Gesamtaufnahme ist jetzt wieder in neuer Aufmachung verfügbar.

Kein anderer Dirigent hat das symphonische Material so plastisch dargestellt, ist so tief in die sieben Werke eingedrungen. Er kann den Werken wunderbar lyrische Momente abgewinnen, etwa im Andante der 7. Symphonie, aber das Hauptmerkmal der Musik ist ihre Leuchtkraft, die, als Resultat einer inneren Kernfusion, auch mit heftigen Turbulenzen und viel kinetischer Energie einhergeht. All das bringt Kitajenko in Prokofievs Symphonien ein und bezieht damit eine Sonderstellung im Interpretationsspektrum. Im Vergleich wirken andere Dirigenten bei aller produzierten Kraft oft oberflächlich.

Kitajenko lässt sich nicht einfach von der Energie der Musik erhitzen, er behält einen kühlen Kopf und strukturiert so souverän wie kein anderer Dirigent, stets besorgt, ein Höchstmaß an klarer Architektur und an klanglicher Transparenz zu erzielen. Das Resultat ist ein Klangreichtum ohnegleichen, in dem sich uns Prokofievs geniale Einfallskraft offenbart wie nie zuvor.

Schon in der Ersten Symphonie macht Kitajenko klar, dass es ihm um die Substanz geht und nicht um oberflächlichen Glanz. Seine Tempi sind gemäßigt, Prokofiev selber verschwindet nicht ganz hinter der klassischen Fassade. Die Erste ist mit der Letzten, der 7. Symphonie gekoppelt, die Kitajenko ganz reflektiv, aber trotzdem auch vital und fantasievoll gestaltet, mit dem bereits erwähnten, bewegend kantablen langsamen Satz.

Die zweisätzige Zweite Symphonie kommt in ihrer ganzen Ausdrucksgewalt herüber, genau wie die Dritte, die ich noch nie so packend gehört habe, in der ich noch nie so gut die verschiedenen Ebenen verfolgen konnte, auf denen manchmal – im Kontrast gehört – die ungeheuerlichsten Dinge passieren.

Kitajenko dirigiert von der 4. Symphonie sowohl die Originalfassung von 1930 als auch die revidierte Version von 1947, was durchaus Sinn machte, denn die beiden Fassungen unterscheiden sich doch sehr. Prokofiev hielt seine erste Partitur wohl für nicht substanzreich genug, denn er baute die Symphonie kräftig aus, verlängerte sie von um die 26 Minuten auf ca. 40 Minuten. Kitajenko bemüht sich, die zum Teil atemberaubenden Klangwirkungen der revidierten Fassung besonders deutlich werden zu lassen.

Die gewaltigen Klangmassen des 1. Satzes der 5. Symphonie werden in einer aufgewühlten, stringenten Interpretation wie vulkanisches Magma durch die Lautsprecher gewälzt. Aber auch in den übrigen Sätzen wählt Kitajenko nicht den Weg der flüchtigen Eleganz, sondern zeigt beeindruckend, was Prokofiev alles in dieser Musik verborgen hat.

Die Sechste Symphonie ist ein düsteres Werk, dessen beiden ersten Sätze mit viel Schwermut über Kriegsschäden sinnieren: Kitajenko bringt die Gürzenich-Musiker zu einem aufregenden, fast beängstigend spannenden Spiel. Diese Spannung wirkt bis in den grotesk verspielten Beginn des 3. und letzten Satzes hinein, der hier direkt diabolisch klingt. Der musikalische Weltuntergang im extremen Schluss dieses Satzes zeigt, wie richtig der Dirigent liegt, wenn er die ersten 9 Minuten des Finales nicht auf die leichte Schulter nimmt.

Ohne Ausnahme haben wir es also hier mit meisterhaften Darbietungen zu tun, deren Inspirationsniveau beim Dirigenten wie bei den Orchestermusikern maximal ist. Und da auch die Tontechniker sich um ein räumlich bestens aufgebautes Klangbild bemüht haben, ist alles erfüllt, um nicht nur von einer herausragenden, sondern von einer Bestleistung zu sprechen. Das ist der Prokofiev-Zyklus, den man haben soll.

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