Ein Gespräch von Alain Steffen mit Johny Fritz zum 40. Geburstag von 'Tempus est iocundum'.

Johny Fritz

In knapp einer Woche findet im Konservatorium das Geburtstagskonzert Ihres Ensembles ‘Tempus est iocundum’ statt. 40 Jahre mittelalterliche Musik. Welche Bilanz ziehen Sie?
Die Bilanz über 40 Jahre TEI ist aus meiner Sicht äußerst positiv. Ich habe damals meine pädagogische Arbeit mit kreativen Ansätzen belebt, d.h. mit meiner Blockflötenklasse habe ich Konzerte mit Renaissancemusik veranstaltet. Für meine Schüler war das ein Erlebnis mit Publikum und progressiv eine Entdeckungsreise durch eine Epoche, die ich damals eher als « exotisch » kannte. Denn man stufte diese Musik verdächtigerweise als Schülerexerzitien, oder dünkelhaft als leicht spielbares  Laienmaterial ein. Ich habe mich nicht von solchen vorgefassten Schemata beeinflussen lassen. Und für ein tatsächlich vorhandenes Publikum waren diese Konzerte ein erfrischend neues Angebot.

Die Gründung des Ensembles fiel ja in die Pionierzeit der historischen Aufführungspraxis Anfang/Mitte der Siebzigerjahre.  Sie gingen aber sofort andere Wege…
Der Begriff ‘historische Aufführungspraxis’ hat damit eigentlich nichts zu tun. Dieser Begriff bezieht sich auf Barockmusik. Renaissance und Mittelalter ist etwas ganz Anderes und weitaus Komplexeres, denn wir haben keine Instrumentierungsangaben. Wir haben mindestens sechs Möglichkeiten, ein Ensemble zusammenzustellen. Blockflöten, Krummhörner und verwandte Instrumente, Blechinstrumente, Zinken, dann Streichinstrumente,  Zupfinstrumente oder gemischte Gruppen mit Laute oder Gitarre, die uns unzählige Möglichkeiten bieten. Mittelalterliche Musik ist noch vielfältiger als die der Renaissance.  Originale Instrumentalmusik ist verhältnismäßig selten,  Vokalmusik vorrangig. Alle vorhandene Musik ist dabei unbedingt mit Instrumenten zu kombinieren, zu unterstützen und auszubauen.  Die vorhandene Ikonographie ist äußerst reich und mit zahlreichen Beispielen bestückt.  Es gibt keine Partituren, der Leiter solcher Musikgruppen ist zugleich auch Komponist!
Deshalb ist gerade mittelalterliche Musik ein Tummelplatz für experimentierfreudige Entdecker.  Und dies war eine Erkenntnis, die für mich richtungsweisend sein sollte.

Mit welchen Instrumenten haben Sie damals begonnen und wie hat sich das Ensemble in dieser Hinsicht weiterentwickelt?
Anfangs war mein Instrumentarium logischerweise das Blockflötenensemble. Ich erweiterte das Blockflötenensemble sofort mit Krummhörnern. Damit kann man bereits ‘Terrassendynamik’ vorführen, denn Blockflöten sind hoch und leise,  Krummhörner dagegen tiefer und lauter. So kann man piano-  und forte-Passagen gegenüberstellen. Später habe ich dann ein Organistrum (Drehleier für zwei Personen) angeschafft, das  äußerst wichtig für Bordunbegleitungen ist.  Für mich ist es das schönste Instrument des Mittelalters. Als nächstes kam eine Mittelalterharfe dazu, ebenfalls ein herrliches Instrument.  Nicht zu vergessen,  ein Psalterium in Schweinskopfform. Ich will nicht übertreiben, aber mit diesem Material kann man fünf Jahrhunderte Musikschöpfung aufführen.  Sagen wir mal provozierend:  es gibt wunderbare Musik vor J.S. Bach!

Tempus est iocundum

Wie suchen Sie sich Ihr Repertoire aus?
Repertoiresuche ist für mich Geschmackssache, fast schon kulinarisch und eigentlich meine liebste Beschäftigung. Ich will entdecken!  Bei Guillaume de Machaut und Perotinus etwa muss man die  Vokalmusik unbedingt mit Instrumenten kombinieren. Die vielen literarischen Leckerbissen der Troubadoure muss man mit diskreter Begleitung ausschmücken, ein Gleichgewicht herstellen mit instrumentalen Arabesken und einfachen vokalen Linien.  Man ist hier schon fast am Improvisieren. Solche Musik bühnenreif zu gestalten ist für mich die schönste Beschäftigung.

Jordi Savall ist es gelungen, innerhalb von 20 Jahren über 2 Millionen CDs mit Mittelalter-Musik quer durch die Kulturen zu verkaufen.  Wie steht es denn in Luxemburg mit dem Publikum für dieses Repertoire?
Musik des Mittelalters ist kein so klar definierter Begriff wie das für andere Musikepochen der Fall ist. Man kann sagen, dass sie alles sein kann, Folklore, frühe Mehrstimmigkeit und Kirchenmusik, Musik für Mittelalterfeste auf Burgen und Marktplätzen,  Sommerbelustigungen und Gregorianik.  Also für jeden etwas. Und meine Erfahrung in punkto Rezeption ist in Luxemburg sehr positiv.

TEI ist das einzige Ensemble dieser Art in Luxemburg.  Gibt es eigentlich genug interessierten Nachwuchs?
Nachwuchs finden sollte eigentlich leicht sein.  Man müsste in den Konservatorien einen Lehrer einstellen, der Komponist und Musikwissenschaftler ist, der mehrere Instrumente spielen kann,
Entdeckergeist hat, geborener Pädagoge ist und der vielleicht eine Ader für Kabarettistik hat.

Trotz Savalls unbestreitbarer Erfolge tut sich Mittelaltermusik generell schwer.  Warum eigentlich? Setzt sie ein anderes Hörverständnis voraus?
Ich stelle bei jedem Konzert fest, dass das Publikum begeistert ist und spontan gesteht:  wir hatten keine Vorstellung, oder besser, wir hatten eine falsche Vorstellung von dem, was  ‘Alte Musik’ sein kann. Jeder weiß, was ihn erwartet, wenn er ein Chopin-Konzert besucht.  Ein anderes Hörverständnis  braucht man sicherlich nicht, es gibt nur Überwindung der Schwellenangst. Einmal davon gekostet, und man ist begeistert!

In Ihrem Jubiläumskonzert spielen Sie im ersten Teil Tänze aus der Renaissance und im zweiten ‘Cantigas de Santa Maria’ von Alfonso el Sabio aus dem 13. Jahrhundert. Was können Sie uns über diese Tänze und die ‘Cantigas’ sagen?
Ein Konzert muss eine Architektur haben:  Unser erster Teil ist Instrumentalmusik und auf die Renaissance, also das 16. Jahrhundert begrenzt.  Sozusagen als Vorgeschmack, als anspruchsvolles Amuse-bouche. Der zweite Teil bringt die Sänger mit den Instrumentisten zusammen. Dieser Teil wird dem Publikum zeigen, wie ‘bekömmlich’ Marienlieder des 13. Jahrhunderts sein können.  Ich will aber hier nichts vereinfachen. Alle ‘Cantigas’ sind rein musikalisch äußerst raffiniert aufgebaut, jedes Lied hat rhythmische und melodische Feinheiten von geradezu atemberaubender Modernität. Man braucht aber nicht musikalisch gebildet zu sein, um sich davon begeistern zu lassen.  Allerdings bringen, wie bei jedem Kunstwerk, musikalische Kenntnis und wirkliches Interesse bringen größeren Genuss.

Gibt es neue Projekte?
Ich habe in der TEI-Broschüre von 2002 zu unserem 25-jährigen Jubiläum eine Anzahl von Projekten vorgestellt.  Das ist jetzt 15 Jahre her, und  ich stelle fest,  wir haben noch keines dieser Projekte realisiert. Nicht, weil wir faul waren oder keine Lust hatten, in all den Jahren gab es  immer wieder neue Ideen, die sich dazwischen geschoben  haben.   Es gibt also noch viel zu tun… . Qui vivra, verra!

Musikkonservatorium der Stadt Luxemburg
Sonntag, 19. März 2017, 17.00 Uhr
40 Jahre Tempus est iocundum
Programm:
– Tänze aus der Renaissance
– Cantigas de Santa Maria d’Alfonso El Sabio.
Martine Meyers, Sopran
EnsembleTempus est iocundum
Leitung: Johny Fritz
Information und Reservierung:
info@luxembourgticket.lu
www.luxembourgticket.lu
Tel : 00352 47 08 95 – 1

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