Sergei Rachmaninov: Symphonie Nr. 2, Vocalise op. 34, Nr. 14; Valer Sabadus, Countertenor, Gürzenich Orchester Köln, Dmitrij Kitajenko; 1 CD Oehms Classics OC 441; 10/13 (64'55) – Rezension von Remy Franck

Mirakulös: was Dmitrij Kitajenko in dieser Aufnahme von Rachmaninovs Zweiter Symphonie mit feinsten Farbdifferenzierungen und subtilstem Rubato an musikalischer Wahrheit offen legt, grenzt an ein Wunder.

Für Rachmaninov war diese Zweite Symphonie nach dem Misserfolg der Ersten ein großes Wagnis. Wohl hatte er mit dem Zweiten Klavierkonzert eine dramatische Schaffenspause erfolgreich beendet, aber ansonsten hatte er fast nur Klaviermusik komponiert. Bei Kitajenko kommt das Largo der e-Moll-Symphonie noch unmittelbar aus diesem Belastungszustand heraus. Schwermütig und fast zögerlich hebt die Musik an, und wo andere Dirigenten bereits ins symphonische Schwelgen geraten, hält sich Kitajenko zurück, lässt der Musik Zeit, sich zu formen. Alles spielt sich im Dunkeln und im Halbdunkel ab, man spürt, wie Rachmaninov versucht, aus diesem Dunkel seinen Weg hinaus zum Licht zu finden.

Auch im Allegro moderato, dem zweiten Teil des ersten Satzes, liegt die Betonung auf ‘moderato’. Dunkle Wolken dominieren, das innere Drama wird immer wieder spürbar. Die Kräfte, die Rachmaninov so lange fesselten, die jede Note in ihm zurückhielten, drängen wie das Magma eines Vulkans aus dem Schlot, und ab der 12. Minute brodelt es dann ganz gewaltig. Hohe Feuerbälle werden in den musikalischen Himmel geschleudert, fallen zurück, entkräftet fast, bis sich neue Energie aufbaut. Kitajenko dringt auch hier tief in die Psyche des Komponisten ein, lässt ihn ausatmen, Atem holen und so wird das Eindringliche eindringlicher, so erwächst Spannung.

Das Allegro molto verkommt bei Kitajenko nicht zum rasanten Showlaufen. Mit feinsten Lichtschwankungen und Klangdehnungen bleibt der Dirigent einer Ästhetik verpflichtet, welche die Musik nie verrät, sie nie um des Effekts willen benutzt. Die Differenzierungskraft, Resultat einer jahrzehntelangen Beschäftigung mit dieser Symphonie, führt in den zehn Minuten dieses zweiten Satzes zu einem grossartigen musikalischen Reichtum, der die ganze Phantastik der Musik zum Ausdruck bringt.

Überirisch schön ist das Adagio. Keine Gefühsduselei, keine Zuckerbäckerei gibt es hier, aber ein tonales Gefühl, das die Musik manchmal in ein fahlglühendes Halblicht taucht, um ihr dann wieder etwas mehr – aber nie zuviel – Glanz zu geben. Rachmaninovs Kolorit ist nirgends Zufall, es hat nichts Willkürliches. Kitajenko hat den Schlüssel dazu. Vor allem aber ist es der Atem, der dieses Adagio regiert und dessen musikalische Tiefe offenbart. Der Atem des Wissenden.

Umso frohlockender gerät das Finale. Oder doch nicht? Bei Kitajenko gibt es mehr als nur einen Seufzer, mehr als nur ein Fragezeichen, mehr als nur ein Zweifeln in der Musik, auch wenn ganz am Ende das Licht definitiv erreicht ist, nach dem der Komponist im Largo zu suchen begann.

Nach soviel Turbulenz folgt die ‘Vocalise’. Nicht eine Orchesterfassung bekommen wir zu hören, sondern es singt ein Countertenor, Valer Sabadus. Die Wahl ist goldrichtig. Denn bei allem Luxus der Stimme, bei aller stimmlichen Schönheit, und so sehr man die Technik von Sabadus auch bewundern mag: hier mischt auch Kitajenko mit. Das einmalige Geheimnis von dessen charismatischer Gestaltungskunst färbt ab. Es ist kein seliger Gesang, den wir hier hören. Wehmut und Melancholie klingen unterschwellig mit. Träumerisch, tief und geheimnisvoll zeigt sich auch hier die russische Seele.

Das Gürzenich Orchester reagiert einmal mehr auf höchstem Niveau geradezu seismographisch auf Kitajenkos Dirigat.

In his powerful account of the Second Symphony, Dmitrij Kitajenko shows Rachmaninov’s struggle for light in a deeply felt and nuanced performance. With much melancholy the Vocalise mirrors in a moving way the mystery of the Russian Soul.

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